Jan Lazardzig: Theater, Zensur, Prostitution – Wertesysteme um 1900

Montag, 19. Mai 2014 - 18:15 Uhr

IFK

Dass Theater ansteckend sei, meinte der Polizeiapparat der Metropolen Wien und Berlin um 1900 durchaus im pathologischen Sinn. Im Umfeld von Schauspielerinnen hole man sich die Syphilis und würde in den unsittlichen Sumpf gezogen. Jan Lazardzig geht den (De-)Regulierungen von Theater und Prostitution durch das Präventionsregime der Polizei jener Zeit nach.

Theater und Prostitution, von Ökonomen gleichermaßen der unproduktiven Arbeit zugeschlagen, da ihre "Dienste im Augenblick ihrer Leistung vergehen" (Karl Marx, "Theorien über den Mehrwert"), werden im ausgehenden 19. Jahrhundert häufig in einem Atemzug genannt. Jenseits der real existierenden "Theater- und Kostümprostitution" von Schauspielerinnen und Tänzerinnen, denen eine reguläre Gage seitens der Theaterdirektion systematisch verweigert wurde, wird die vermeintliche Entwertung der Theaterkunst im Zuge ihrer Ökonomisierung gebrandmarkt. Dabei werden tradierte antitheatrale Topoi (Ansteckungs- und Prostitutionsverdacht) marktbezogen revitalisiert (Angst vor Unproduktivität, Entwertung). Zeitgleich wird die weibliche Prostitution (vor allem aufgrund der Gefahr einer Ansteckung mit Syphilis) als ubiquitäre, heimtückisch maskierte Bedrohung des gesellschaftlichen Lebens angesprochen, die sich einer ökonomischen Logik immer wieder zu entziehen scheint. Die Regulierung von Theater und Prostitution obliegt dem Präventionsregime der Polizei, das an der Schnittstelle von Sittlichkeitsgeboten, Hygienemaßnahmen und Marktmechanismen agiert. Am Beispiel der Metropolkulturen Wien und Berlin wird in diesem Vortrag die polizeiliche Prävention auf zwei imaginationsgeschichtlich eng miteinander verbundenen Feldern diskutiert.


Vortrag
JAN LAZARDZIG
Theater, Zensur, Prostitution – Wertesysteme um 1900
19. Mai 2014, 18 Uhr c. t. am IFK (Eintritt frei)

Jan Lazardzig, Associate Professor for Theater Studies an der Universiteit van Amsterdam, arbeitete nach dem Studium der Theaterwissenschaft und Geschichte in Berlin als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich "Kulturen des Performativen" und am theaterwissenschaftlichen Institut der Freien Universität. Im Wintersemester 2010/11 war er Gastprofessor an der Kunstakademie Münster und von 2011 bis 2013 als Feodor-Lynen-Stipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung an der University of Chicago. Zurzeit forscht Lazardzig zum Verhältnis von Theater und Polizei im 18. und 19. Jahrhundert und ist IFK_Research Fellow.

Publikationen (u. a.): gem. mit Viktoria Tkaczyk und Matthias Warstat, Theaterhistoriografie. Eine Einführung, Tübingen 2012; gem. mit Claudia Blümle (Hg.), Ruinierte Öffentlichkeit. Zur Politik von Theater, Architektur und Kunst in den 1950er-Jahren, Berlin/Zürich 2012; Theatermaschine und Festungsbau. Paradoxien der Wissensproduktion im 17. Jahrhundert, Berlin 2007; gem. mit Helmar Schramm und Ludger Schwarte (Hg.), Spektakuläre Experimente–Praktiken der Evidenzproduktion im 17. Jahrhundert, Berlin/New York 2006 (= Theatrum Scientiarum III).

Termin

Uhu Diskurs
Jan Lazardzig, Vortrag, 1900
Montag, 19.05.2014 18:15
IFK
Reichsratsstraße 17
1010 Wien
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