Historische Unschärfe
Mittwoch, 22. Mai 2019 - 19:00 Uhr
Hinterland
Teppiche sind Träger von Identität, kultureller Erinnerung und heute oft nahezu vergessenen Zeichensystemen. Bis ins 19. Jahrhundert, ehe sie zu Exportartikeln für die westlichen Salons wurden, hatten sie klare kulturelle und soziale Konnotationen. In einer globalisierten Welt mit der einhergehenden Bilderflut laufen regionale Traditionen Gefahr, nivelliert oder gelöscht zu werden - insbesondere in Konfliktregionen.
Till Ansgar Baumhauer arbeitet als Künstler und Wissenschaftler zu Themen wie Gewalterfahrung und Kulturverlust. In einem großangelegten Projekt zum Afghanistankonflikt kooperierte er mit afghanischen Teppichknüpfern und verarbeitete selbst bereits bestehende Teppiche weiter; ihre traditionelle Textur aus farbiger Wolle löscht er von Hand, Knoten für Knoten, aus dem Grundgewebe, bis ein neues Bild auf dem Teppich entsteht, während zugleich ein kultureller Verlust und eine behutsame Zerstörungshandlung stattfinden. Damit schafft der Künstler zusätzlich eine Parallele zu den seit 1980 produzierten sogenannten afghanischen „Kriegsteppichen“: so bringt der Krieg zugleich mit den Zerstörungen auch neue Bildkulturen hervor, die die bereits bestehenden überprägen.
In einem künstlerischen Prozess über kulturelle und zeitliche Grenzen hinweg lässt Baumhauer ebenso die Begrenztheit eines europäischen Blicks auf andere Kulturkontexte und Epochen sichtbar werden wie die Möglichkeiten eines Diskurses jenseits herkömmlicher ästhetischer Parameter.
Till Ansgar Baumhauer studierte Malerei. Grafik und übergreifendes künstlerisches Arbeiten an der UdK Berlin und der HfBK Dresden. 2015 schloss er eine künstlerische Promotion an der Bauhaus-Universität Weimar ab; seine Arbeiten waren in internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen. Baumhauer lebt als Künstler, Kurator und Publizist in Dresden.