Schockt’s noch?

eSeL Foto: Wake Words (Kunstraum Niederösterreich, 1.10. - 27.11.2021, Eröffnung) eSeL Foto: Wake Words (Kunstraum Niederösterreich, 1.10. - 27.11.2021, Eröffnung)

Nach dem Schock der gestrigen innenpolitischen Enthüllungen fragt sich der eSeL gerade selbstkritisch, ob allzu abgebrühte Auseinandersetzung mit Kunst gar dabei hilft, schnell zur Tagesordnung zurückkehren zu können: raus aus dem White Cube und Ohren zu vor den neuesten Enthüllungen – egal ob via Kunst oder Nachrichten – zwecks retour ins „New Normal“?

War eSeL erst noch schockiert, dass unter dem Ausstellungstitel „Frauenbild“ das Weltbild Tizians und seiner Zeitgenoss:innen von Kunsthistoriker:innen, von denen man doch vermuten täte, sie würden zumindest im „Heute“ leben (und mitkriegen, welche Weltbilder Besucher:innen ins Museum mitbringen), gefeiert wird, so ertappe ich mich ja doch vor dem gold gerahmten Original, auf dem Veronese dank meisterhafter Bildkomposition Blick und Hände geschickt unter den Rock der geraubten Europa zu führen gelingt.

eSeL Foto: Tizians Frauenbild. Schönheit – Liebe – Poesie (Kunsthistorisches Museum, 15.10.2021 - 16.1.20222) eSeL Foto: Tizians Frauenbild. Schönheit – Liebe – Poesie (Kunsthistorisches Museum, 15.10.2021 - 16.1.20222)

Auch die wunderbare Verzerrung bisheriger Perspektiven auf die Wiener Werkstätte durch den Londoner Designer Michael Anastassiades im MAK lässt schnell vergessen, wie das Thema Klimawandel mit dem Ende der Vienna Biennale vorerst mal auf Eis gelegt ist – übrigens zeitgleich am „Tag des Herren“ mit Einführung des „Klimabonus“-Körberlgeld fürs Wahlvolk.

eSeL Foto: Showroom Wiener Werkstätte. Ein Dialog mit Michael Anastassiades (MAK, 6.10.2021 - 2.10.2022) eSeL Foto: Showroom Wiener Werkstätte. Ein Dialog mit Michael Anastassiades (MAK, 6.10.2021 - 2.10.2022)

Erweitert Ines Doujak ihren kritischen Blick über die Folgen globaler Ausbeutung bis auf die heutige Pandemie hin, schraubt der Instagram-Algorithmus verlässlich die Likes nur bei jenem Foto in die Höhe, wo ein dargebotener Popsch imaginiert werden kann, und Doujaks kritisch Pointe der darin krabbelnden Würmer im Wissen um die Zensur der Bilderkennungssoftware präventiv gar nicht mehr online gestellt wird.

eSeL Fotos: Ines Doujak – Geistervölker (Kunsthalle Wien, 1.10.2021 - 16.1.2022, Eröffnung)
eSeL Fotos: Ines Doujak – Geistervölker (Kunsthalle Wien, 1.10.2021 - 16.1.2022, Eröffnung)

So sehr eSeL sich freut, dass Facebooks Allmacht, Meinung gegen Inseratengeld zu manipulieren, allmählich zu Leibe gerückt wird (bzw. wie erlösend das blaue Blackout dieser Woche sich anfühlt), so füttern wir ja doch weiter dessen digitalen Schlund mit Inhalten (obwohl eSeL immerhin in der privilegierten Position ist, sein eigenes Webuniversum betreiben zu können).

Wenn die „Wake Words“ Ausstellung im Kunstraum Niederösterreich die drohende Allmacht der Sprachassistenten als nächste Generation im digitalen Takeover thematisiert, so motiviert das clevere Ausstellungskonzept (bei dem zwischen mehreren Layers hin und her geschaltet wird), auf’s Sichten aller viel zu vielen Videos zu verzichten, und wieder nach draußen ins „Normalleben“ zu switchen.

eSeL Foto: Wake Words (Kunstraum Niederösterreich, 1.10. - 27.11.2021, Eröffnung)

Und so zuckt der eSeL, geübt im Verdauen von Schock und bitteren Erkenntnissen, bestenfalls am Sofa zusammen, wenn ein Politiker unter Korruptionsverdacht seine an allem gänzlich unbeteiligte Wirklichkeit sprachlich für uns inszenieren darf, und dabei ungeniert ins Treffen führt, dass die manipulierten Umfragewerte, die zwecks Meinungsmache mittels Steuergeld-Missbrauch unters Wahlvolk gebracht wurden, an der Urne ja ihre Bewahrheitung gefunden hätten. Vielleicht hilft gegen derlei Chuzpe wirklich nur mehr abzuschalten?

Doch spätestens bei der Auseinandersetzung mit nur wenigen (der wieder zu vielen) Positionen in den drei Ausstellungen der wiedereröffneten Akademie am Schillerplatz, die u.a. von RAQs-Kollektiv andere Lesarten allzu eingeübter (Geschichts-)Erzählungen und damit gleichzeitig das Suchen nach alternativen Erzählungen zwischen den eingeübten Wahrheiten erfahren und erlernen lassen, stärkt das Dargebotene beim eSeL wieder den Glauben an „die Kunst“ – hier im Kampf gegen die Nachwehen und -fahren des Kolonialismus.

eSeL Foto: Hungry for Time - Raqs Media Collective (Gemäldegalerie Akademie der Bildenden Künste Wien, 09.10.2021 - 30.01.2022, Presseführung) eSeL Foto: Hungry for Time - Raqs Media Collective (Gemäldegalerie Akademie der Bildenden Künste Wien, 09.10.2021 - 30.01.2022, Presseführung)

Wenn die Kunst – zum Wohle der Allgemeinheit – gegen allgemeine Konventionen andenkt, so wirkt sie selbst als Außenseiter auf gesellschaftliche Übereinkünfte: ob als schmerzhafte Erkenntnis, neue Sichtweise zwischen den Wahrheiten oder nur als Auslöser im Zorn über Alternativen zum Gebotenen nachzudenken. Die richtigen und wichtigen Aspekte des Noch-nicht-Mainstream setzen sich doch irgendwann durch – im Kunstbetrieb ebenso wie in der österreichischen Gesellschaft.

eSeL bleibt somit hoffnungsfroh.

Tizians Frauenbild

Ines Doujak: Geistervölker

Wake Words

Showroom Wiener Werkstätte

Hungry for Time

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