Mit ihrer Verbindung von messerscharfer Satire und populärer Unterhaltung feierte die Commedia all’italiana von den 1950ern bis in die 1980er weltweit Erfolge. 2010 widmeten wir diesem nationalen Genre eine große Retrospektive und haben ihre Spielarten seither in anderen Zusammenhängen erforscht, doch das weite Feld der italienischen Komödie hält noch immer viele Entdeckungen bereit. Unser Jahresauftakt wendet sich zwei unterschätzten Regisseuren zu, die beispielhaft die satirische und sozialkritische Essenz der commedia bündeln: Aus den pointierten filmischen Zeitbildern der Römer Luigi Zampa (1905–1991) und Luciano Salce (1922–1989) lässt sich das umfassende und schonungslose Porträt einer gesellschaftlichen und moralischen Entwicklung ablesen.
So spannt sich ein direkter Bogen von der Aufarbeitung der faschistischen Ära in Zampas klassischer Sittenkomödie Anni difficili (Schwierige Jahre, 1948) zur zwerchfellerschütternden Anthologie des frustrierten Mittelklasse-Angestelltendaseins in Salces genialem Rundum-Doppelschlag Fantozzi (1975) und Il secondo tragico Fantozzi (1976) mit Paolo Villaggio in der Titelrolle. Macht und Mitläufertum, Korruption und sozialer Geltungsdrang, Käuflichkeit und Verblendung sind wiederkehrende Motive. L’arte di arrangiarsi (Die Kunst, sich zu arrangieren, 1954) ist der sprechende Titel eines Hauptwerks von Zampa, in dem ein kleiner Gemeindesekretär (Meistermime Alberto Sordi) zwischen 1913 und 1953 so reibungs- wie rückgratlos von einem politischen Regime zum nächsten wechselt: Sozialist, Faschist, Kommunist, Christdemokrat – der perfekte Opportunist.
In Il vigile (Der Schutzmann, 1962) spielt Sordi für Zampa einen Polizisten, der sich an seiner neuen Autorität berauscht. Zampa verglich diese rasende Komödien-Großtat mit seinem mitreißenden Drama Processo alla città (Das Lied vom Verrat, 1952), das anhand eines historischen Falls erstmals die Machenschaften der neapolitanischen Camorra thematisierte: Beides seien letztlich Filme über Macht. Vom Neorealismus der 1940er über seine “rosa” Variante in den 1950ern hin zu den schärferen Komödien der 1960er und seinen von grotesker Dunkelheit geprägten Filmen der 1970er hat Zampa über Jahrzehnte hinweg jene Methoden im Blick behalten, mit denen man sich ein Stück vom Kuchen sichern will: ein Panorama des Verfalls, das die verschiedensten Tonlagen durchmisst, ob melodramatisch wie in der Moravia-Verfilmung La romana (Die freudlose Straße, 1954) mit Gina Lollobrigida oder sarkastisch wie in der Blutrache-Farce Una questione d’onore (Eine Frage der Ehre, 1966) mit Ugo Tognazzi.
Ebenfalls mit Tognazzi hatte sich Luciano Salce bereits Anfang der 1960er als außerordentlicher Kinoregisseur mit bemerkenswerten Gespür für Gesellschaftssatire etabliert. Wo Zampa zeitlebens auch internationale Beachtung fand, blieb Salce außerhalb Italiens ein Geheimtipp. Daheim kannte man ihn wegen seines deformierten Kiefers als “Mann mit dem schiefen Mund”: Nach einem schweren Autounfall als Kind bekam er eine goldene Prothese eingesetzt, die ihm als Kriegsgefangener in einem Deutschen Lager herausgebrochen wurde. Seine lakonische Tagebuchnotiz: “1943–45: zwei schwierige Jahre.”
Noch in den 1940ern etablierte er sich am Theater, wo er mit Größen wie Luchino Visconti und Vittorio Gassmann arbeitete. Als Kinoschauspieler debütierte er (bei Zampa) 1946, eine Bühnentournee brachte ihn in den 1950ern nach Brasilien, wo er erste Filme inszenierte. Zurück in Italien reüssierte er mit einer fulminanten Komödien-Trilogie, die Tognazzis Talent offenbarte: Il federale (Zwei in einem Stiefel, 1961) über das Ende der faschistischen Ära folgten satirische Sittenbilder der Gegenwart mit melancholischen Untertönen. In La voglia matta (Lockende Unschuld, 1962) verliebt sich Tognazzi in ein Teenager-Mädchen (Catherine Spaak) und sucht vergeblich Anschluss an die Jugendkultur, Le ore dell’amore (Stunden der Liebe, 1963) liefert eine niederschmetternde Bilanz der Institution Ehe, die Tognazzis glückliche Beziehung (zu Emmanuelle Riva) in qualvolle Zwangs-Zweisamkeit verwandelt.
Wie bei Zampa verschärfte sich Salces Zugang zur Commedia all’italiana, die er als “Entdeckung der urbanen Realität und der Möglichkeit, diese Realität als Quelle für Ideen zu nutzen” definierte. Auch bei ihm wichen die tragikomischen Zwischentöne dem Zug zur Groteske, um die gesellschaftlichen Veränderungen zu spiegeln: Eine private Krise (seine zweite Frau verließ ihn Ende der 1960er für seinen besten Freund Gassmann) verschärfte die Entwicklung. Letztlich gelang es Salce dadurch eine komische Energie zu entfesseln, die ihn zu neuen Höhenflügen ins Absurde antrieb: Von der Kritik einst herablassend besprochene Werke wie Basta guardarla (1970) und die Fantozzi-Filme sind längst Kultklassiker geworden.
Die kritische Geringschätzung von populären Komödien mag teilweise überwunden sein, die Kopienlage wird aber in allen Bereichen immer schwieriger. Obendrein werden vor wenigen Jahren noch zugängliche Filmkopien zusehends aus dem Verkehr gezogen. Auch wenn wir dem schon länger in der Konzeption unserer Reihen Rechnung tragen, ist es nicht mehr möglich, Retrospektiven wie diese fast komplett mit 35mm-Kopien zu bestreiten. Gerne hätten wir noch weitere Filme von Salce (und Zampa) gezeigt, aber während viele nur mehr digital für einen Kinoeinsatz verfügbar sind, sind es ebenso viele gar nicht mehr. (Christoph Huber)
In Kooperation mit Istituto Italiano di Cultura di Vienna
Luciano Salces Sohn Emanuele Salce ist bei der Eröffnung zu Gast und wird in englischer Sprache Einführungen zu Filmen seines Vaters halten.
Programmhinweis: Am Mittwoch, den 8.1. um 18.30 Uhr stellen die Regisseure Emanuele Salce und Andrea Pergolari im italienischen Kulturinstitut bei freiem Eintritt den Dokumentarfilm über Luciano Salce L’uomo dalla bocca storta (IT 2009, 59 min. Italienisch) vor.