Satyajit Ray: Das Frühwerk / Nach Indien!

Mittwoch, 04. Dezember 2013 - 19:00 Uhr

Filmmuseum

Eröffnungsfilme

18.30
NACH INDIEN!
Black Narcissus
1947, Michael Powell, Emeric Pressburger

20.30
SATYAJIT RAY
The River
1951, Jean Renoir
Restaurierte Fassung


Satyajit Ray: Das Frühwerk

Satyajit Ray (1921–92) war weder der erste indische Filmemacher, dessen Werke mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf europäischen Festivals gezeigt wurden, noch war er der erste, der ein solches gewann. Und dennoch scheint alles mit ihm zu beginnen: Sein Erstling Pather Panchali (1955) wurde bei der Weltpremiere im New Yorker Museum of Modern Art – anlässlich der Ausstellung Textile and Ornamental Arts of ­India – als eine Offenbarung gefeiert, die Fortsetzung Aparajito in Venedig gleich mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

Ray erwies sich allerdings nicht als Eintags-Auteur: Bis zu seinem Tod wurde die Entwicklung seines Werks weltweit verfolgt, auch wenn es kaum je in seiner ganzen Komplexität wertgeschätzt wurde. Manchen bereiteten z.?B. seine Politisierungsversuche der frühen 70er Jahre Kopfzerbrechen, andere wussten nicht so recht, was sie mit Rays wiederholten Ausflügen in die Welt des Unterhaltungskinos anfangen sollten. Dabei lag sein Genie genau in dieser Vielfalt, dem Spiel mit kinematografischen Genres und Idiomen – und der beständigen Suche nach einer Form von Zeitgenossenschaft. Dies zeigt sich schon zur Gänze im ersten, äußerst dichten Jahrzehnt seines Schaffens.

Ende der 90er Jahre veranstalteten das Filmmuseum und die Viennale zum ersten Mal eine umfassende Ray-Retrospektive, wobei allerdings einige Filme wie die Komödie Der Stein der Weisen (1958) oder das Erlösungsmelodram Die Expedition (1962) fehlten. Die Schau zum Jahreswechsel 2013/14 präsentiert nun Rays komplettes Frühwerk, von seiner Assistenz bei Jean Renoir (The River) und seinem Debüt Pather Panchali bis zur perfekten Zwischensumme, dem Diptychon Der Feigling und der Heilige (1965) – und eröffnet so, pars pro toto, einen Blick auf diesen kinematografischen Kosmos in seiner ganzen Fülle. Möglich wurde dies durch die grandiose Restaurierungsarbeit, die das Academy Film Archive in Los Angeles nach Rays Tod übernommen hat.

Satyajit Ray entstammte einer bengalischen ­Intellektuellen­familie: Sein Großvater Upendrakishore Raychaudhuri war ein berühmter Verleger, Musiker, Kinderbuchautor und Pionier des Raster­drucks; sein Vater Sukumar Ray wurde ob seiner Satiren gefürchtet und für seine Nonsensreime geliebt. Satyajit Ray führte die Familien­tradition des Renaissance-Genies fort: Er verfasste eine Serie von Kinderkrimis, die mit seinen Illustrationen in dem von ihm herausgegebenen Jugendmagazin erschienen, kreierte Schrifttypen (u.?a. die „Ray Bizarre“), erwies sich als brillanter Komponist – und drehte über dreißig Filme.

Studiert hatte er Malerei, aber das Kino war stärker. 1947 gründete Ray mit dem Kritiker Cidananda Dasgupta die Calcutta Film Society, den ersten indischen Filmclub nach britischem Vorbild. Dadurch konnte er in kurzer Zeit die Klassiker des westeuropäischen und sowjetischen Kinos studieren, wobei es ihm der Neorealismus, wie so vielen seiner Generation, besonders angetan hatte. Auch die Begegnung mit Jean Renoir erwies sich als folgenreich – wie man an Pather Panchali erkennen kann: Der über Zeiten und Kulturräume ausgreifende Humanismus dieses Films (und der gesamten „Apu-Trilogie“) lässt sich gut in Einklang bringen mit Renoirs Œuvre ­sowie, allgemeiner, mit jener Form des Nachkriegsweltkinos, für die auch Namen wie Kurosawa Akira und Lester James Peries (in Sri Lanka) stehen, denen sich Ray tief verbunden fühlte. Für den westlichen Betrachter weniger offensichtlich ist die lokale, die politische Dimension des Films: seine Verwurzelung sowohl in einer spezifisch bengalisch-bürgerlichen Tradition der Aufklärung wie auch des Nehru’schen nation building.

Umso faszinierender ist das Tempo, mit dem Ray sein Schaffen zu diversifizieren begann – und wie er diese Vielgestaltigkeit zweimal ganz bewusst durch Episodenfilme betonte. Sein epochales Triptychon nach Rabindranath Tagore, Teen Kanya (Drei Töchter, 1961), und der „Doppelfilm“ Der Feigling und der Heilige wurden allerdings oft gekürzt bzw. aufgeteilt gezeigt. Mit Der Stein der ­Weisen schuf er schon früh ein Werk, dessen Verspielt- und ­Verschmitztheit völlig andere Wege beschreitet als Pather Panchali. Im selben Jahr schlägt Jalsaghar (Das Musikzimmer) in seiner ­dunkel-morbiden Melancholie wiederum neue Töne an. Der hitzig-agitatorische Zug von Devi (Die Göttin) fügt dem Œuvre eine weitere starke Farbe hinzu, und Monihara, Teil 2 von Teen Kanya, zeigt schließlich auch Rays Virtuosität im Horrorgenre.

1962 kommt mit Kanchenjungha nicht nur zum ersten Mal Farbe ins Spiel, sondern auch ein grimmiger Blick auf das Bürgertum und seine Rituale, der eine neue Strömung in Rays Schaffen auslöst, wie die folgenden Meisterwerke Mahanagar (Die große Stadt) und Charulata (Die einsame Frau) aufs Schönste belegen. Man wird, was das Milieu und Rays Haltung zu den Figuren betrifft, gewisse Parallelen zwischen Jalsaghar und Kanchenjungha erkennen können, gleichwohl ist jeder Film ein ganz eigenes Abenteuer, der Anfang von etwas Neuem. Denn man darf nicht vergessen: Satyajit Ray schuf quasi im Alleingang und auf mehreren Linien ein bengalisch-indisches Kunstkino „westlicher“ Prägung, an dem sich bis heute jeder indische Filmemacher orientiert, der der lokalen Unterhaltungsindustrie etwas Anderes abringen will – und sei es durch einen Aufbruch in eine wieder ganz neue Richtung.

Die Retrospektive findet in enger Partnerschaft mit der Academy of Motion Picture Arts and Sciences statt. Alle Satyajit-Ray-Filmkopien sind Leihgaben des Academy Film Archive.


&

Nach Indien!
Projektionen aus Europa und Amerika
India Song, 1975, Marguerite Duras (Foto: Cinémathèque suisse)
4. Dezember 2013 bis 7. Jänner 2014

Asien war immer schon die liebste Projektionsfläche westlicher Filmemacher: Ihre Phantasien vom Fremden, Exotischen suchten und suchen ein Dasein, das sich in jeder Hinsicht von dem uns bekannten und akzeptierten unterscheidet. Indien nahm dabei einen besonderen Platz ein: Einerseits war es ganz offensichtlich eine alte Hochkultur, andererseits als einziges der asiatischen Großreiche auch lange dem Willen einer europäischen Macht, dem britischen Empire unterworfen. Es schien, als lägen nirgendwo auf der Welt die Unterschiede zwischen Kulturen und Klassen so offen und ­unversöhnlich nebeneinander da wie in Indien; nirgendwo sonst konnte man aber auch so genau beobachten, wie sich die Dinge manchmal ganz langsam verändern, ineinander verschmelzen, ­etwas Neues, Außerordentliches werden.

Nach Indien! präsentiert rund 25 Filmbeispiele aus der Zeit nach 1947, als Indien seine Unabhängigkeit gewann. Es sind Werke einer großen Spannweite: von Roberto Rossellinis und Pier Paolo Pasolinis berühmten Essayfilmen der 1950er und 60er Jahre bis zu einem der bestechendsten US-Independents der Gegenwart, Chris Smiths The Pool. Von den Indien-Visionen Fritz Langs, der seine zutiefst germanischen Orient(alisten)träume 1959 im Studio erbauen ließ, bis zu Marguerite Duras’ nicht weniger „unrealistischem“, eisig-sinnlichem Farbdelirium India Song. Immer wieder besuchten westliche Filmemacher das Land, um sich selbst wieder zu finden – oder neu zu erfinden, so etwa Louis Malle mit seiner Cinéma-vérité-Kakophonie Calcutta oder zwei Dekaden später Alain Corneau mit seiner kongenialen Antonio-Tabucchi-Adaption Nocturne indien. Beiden war klar, dass sie in diesem Land auf Eindrücke stoßen mussten, deren Fremdheit sie zu einer intensiven Selbstbefragung zwingen würde.

Gemein ist allen diesen Projektionen, dass sie offenen Auges in ihr Zerschellen rennen – Indien, das reale wie das ersehnte, verlässt offenbar niemand so, wie er kam. Rar sind die Beispiele für ein Gefühl von Gemeinsamkeit, wie etwa James Ivorys Shakes­peare – Wallah, der 1965 neben Satyajit Rays Charulata Indien bei der Berlinale vertrat. Autorin von Ivorys Film(en) war die heuer verstorbene Kölnerin Ruth Prawer Jhabvala, die in Indien, ihrer wichtigsten Lebensstation, lange für eine Einheimische gehalten wurde. Sie zählt zu jenen literarischen Grenzgänger/inne/n, deren Schaffen als Vorlage für manche Schlüsselfilme dieser Reihe ­diente – darunter etwa John Masters (Bhowani Junction von George Cukor) oder Rumer Godden (Black Narcissus von Michael Powell & Emeric Pressburger und The River von Jean Renoir). Dass Masters – lange verschrien als Apologet des Kolonialismus – einige der exaktesten Darstellungen des ostwestlichen Raj-Miteinanders lieferte, ist nur ein Beispiel für die Komplexität der Verhältnisse, die hier exemplarisch erkundet werden sollen.

Die Reihe beruht auf dem Buch Outsider Films on India 1950–1990 von Shanay Jhaveri (Shoestring Publishers, Mumbai 2010) sowie auf Programmen, die Jhaveri für Tate Modern (2010), für die LUX/ICA Biennial of Moving Images und das Cultuurcentrum Brugge (2012) kuratiert hat. Das Buch wird an der Kassa des Filmmuseums erhältlich sein.

Termin

Flimmer Ratte
Schiene, Satyajit Ray, Indien, Kino
Mittwoch, 04.12.2013 19:00
bis Mittwoch, 08.01.2014
Filmmuseum
Augustinerstraße 1
1010 Wien
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