Ragnar Kjiartonsson - Take me here by the Dishwasher Memorial for a Marriage

Freitag, 06. Mai 2011 - 14:00 Uhr

Franz Josefs Kai 3 – Raum für zeitgenössische Kunst

Ragnar Kjartansson kommt aus dem verwunschenen Island, und auch seine rasante Karriere basiert auf dem Bezug zu isländischen Traditionen und Mythen. Er ist ein Großmeister in der Königsdisziplin der Künste, der Performance, nebenbei auch noch Maler, Zeichner und Filmemacher. In seinen gleichermaßen ernsthaften wie furiosen Momentaufnahmen geht es um Liebe und Freundschaft, um Schönheit und gebrochene Herzen, um Liebe und Tod, Glück und Schmerz, um Himmel und Hölle. Nie geht es um Siege, oft um Niederlagen. Angelpunkt seiner Kunst ist der Impuls des Charismatikers, zu entertainen.

Von allem Anfang an hat sich Ragnar Kjartansson mit dem Rollenbild des Künstlers auseinandergesetzt. Seine Arbeiten sind laufende Erhebungen zum Status von Künstler, Werk und Publikum. Wer bin ich, wo bin ich, was tue ich dort, was ist geschehen, bevor ich hierherkam? Die Fragen, die sich nach Lee Strasberg ein Method Actor stellen muss, scheinen auch für Kjartanssons Technik eine Rolle zu spielen: Der exhibitionistische Künstler produziert Requisiten für Tableaux Vivants und Rollenspiele, die Teile eines sehr persönlichen Identitätspuzzles sind – das Porträt des Künstlers als Maler nächtlicher Seestücke, als Opernsänger im Rokokotheater, als Lonesome Cowboy mit Gitarre in den Rocky Mountains.

Seit Ragnar Kjartansson Dieter Roth erlebt hat, der an der Universität der Künste in Reykjavík entweder Gedichte vorlas oder die Lohnarbeit verfluchte, weiß er über die Bedeutung von Präsenz Bescheid. Deshalb sind seine Werke Live Acts. Denn die Frage, wie Kunst entsteht, ist mindestens ebenso wichtig wie das fertige Resultat. Auch im Zentrum der Ausstellung in der BAWAG Contemporary steht ein zeitgebundenes Werk, geht es um den Moment, in dem Kunst passiert.

Performance, das ist die Kunst, die sich so leicht nicht ausstellen lässt, die Kunst des Flüchtigen, der Inszenierungen, der Extreme und der Show. Performance erstreckt sich in die Tiefe der Zeit, ist Kunst mit Handlungsbedarf und Anwesenheitspflicht. Nicht umsonst hießen die 721 Stunden, die Marina Abramovic im New Yorker Museum of Modern Art regungslos auf einem Sessel saß, „The Artist is Present“. Dieses Format hat in der BAWAG Foundation/BAWAG Contemporary Tradition: Da waren Elke Krystufek und Sands Murray-Wassink, Tino Sehgal in der Ausstellung „Funky Lessons“, da war Jeremy Dellers Brass Band und der Obdachlose, der in der Installation von Elmgreen und Dragset wohnte.

Die neue Arbeit Take me here by the Dishwasher, die Ragnar Kjartansson für seine erste Soloshow in Österreich konzipiert hat, ist, auch wenn es zunächst nicht so aussieht, eine Art Selbstporträt. Die Empfängnis des Künstlers liegt in einem Nebel aus Realität und Fiktion. In eine Familie von Schauspielern und Theaterleuten geboren, könnte Ragnar Kjartansson auf dem Set von Islands erstem Spielfilm gezeugt worden sein. In Morðsaga von Reynir Oddsson spielt seine Mutter, Guðrún Ásmundsdóttir, eine einsame Hausfrau, der Vater, Kjartan Ragnarsson, den Installateur, den sie in ihren Träumen ruft, um den Geschirrspüler zu reparieren. In der Tat fällt Kjartans Conceptio in den Zeitraum, in dem die Liebesszene auf dem Küchenboden gedreht wurde. Der alles entscheidende Moment ist im Filmloop zu sehen und wird von Troubadouren kommentiert. Sie entsprechen dem nordischen Sänger- und Erzählertypus und singen zur herzzerreißenden Musik von Kjartan Sveinsson folgenden Filmdialog:

Mum (sieht zum Geschirrspüler hin): Here she is.
Dad (mit Kennerblick): Is this her!?
Mum (zweifelnd): Yes, here she is. Do you think she can be fixed?
Dad (derb): Yes, I’m afraid so.
Mum (hingebungsvoll): I’m desperate!
Dad (beruhigend): Don’t you worry. I’ll fix it.
Mum (einladend): Show me what you can.
Dad (zweifelnd): Here?
Mum (herausfordernd): Are you a man?
Show me what you can do to me…
Take off my clothes!
Take me,
Take me here by the dishwasher.

Den mütterlichen Filmtraum übersetzt Ragnar Kjartansson in verkatertes Männervolk nach durchzechter Nacht. Nun ist der Typus des Kerls an der Gitarre eine Chiffre der globalen Jugendkultur und des rebellischen Aufbegehrens, ein geradezu ikonisches Symbol der Popmythologie. In der Ausstellung geht das Superzeichen eine leicht erschöpfte Verbindung mit Bier und Zigaretten ein. Eine Soundskulptur entsteht, eine Social Sculpture als kaputte Version von Nietzsches immerwährender Wiederkehr des Gleichen. Mantramäßig wiederholen die Barden ihr Lied und binden die Szene in einen endlosen Loop ein, der die Grenzen zwischen Kunst und alltäglichem Leben verwischt.

Komponist des Soundtracks ist Kjartan Sveinsson, Keyboarder der legendären isländischen Postrockband Sigur Rós und Autor großartiger Filmmusik, darunter jener für den oskarnominierten Kurzfilm The Last Farm (Síðasti bærinn) von Rúnar Rúnarsson. Kjartanssons Methode ist eine der unendlichen Geschichten, der Zyklen und absurden Loops. In seinen Pasticcios stellt er Elemente, die für die Kunst Relevanz haben, einem Korpus von nostalgischen kulturellen Referenzen gegenüber und lässt die Unterschiede verschwimmen. Seine Performances dauern oft viele Stunden oder gar Tage und stellen den Künstler vor erstaunliche physische Herausforderungen. Auf der Manifesta 8 in Rovereto 2008 etwa sang er, von einem Klavier begleitet, zwei Wochen lang acht Stunden täglich Schumanns Dichterliebe. Für seine dekadente Version eines Liederabends trug er einen eleganten schwarzen Smoking mit Fliege, rauchte dicke Zigarren und trank Champagner, bis er nicht mehr stehen konnte. 2009 vertrat Kjartansson Island bei der Biennale in Venedig. In einem Palazzo am Canale Grande richtete er sich ein Atelier mit Plattenspielern, Gitarren und einer Couch ein und produzierte – ganz Malerfürst – während der sechsmonatigen Laufzeit pro Tag ein Bild. In der kürzlich eröffneten Personale Song im Carnegie Museum of Art traten seine Nichten Ragnheiður, Rakel und Iris in weißen Kleidern in der Marmorhalle auf.

Im Backspace der Galerie, im Keller, zeigt Ragnar Kjartansson ein sehr persönliches Porträt des von ihm hochverehrten Mississippi-Bluessängers Pinetop Perkins (7. Juli 1913; Belzoni, Mississippi – 21. März 2011; Austin, Texas). „Eternal Pinetop“ betritt das – einzige – Bild des Films wie eine Bühne. Er trägt elegante beige Hosen, ein weißes Hemd und den unvermeidlichen Hut. Im Filmset am Stadtrand von Pinetops Wohnort Austin bezieht sich Ragnar Kjartansson auf das berühmte Bild Christina’s World von Andrew Wyeth: ein baumloser, flacher Hang, ein Haus am Horizont, an Stelle des poliokranken Mädchens, das zum Haus kriecht, der 97-jährige Pinetop Perkins an seinem Klavier, das ihm 80 Freunde zum 80. Geburtstag geschenkt haben. Dann legt er mit einem Blues los, wiederholt sich, murmelt vor sich hin, streut den einen oder anderen Jingle dazwischen und loopt sich durch seine Melodien und Rhythmen. Dazu raucht er unentwegt, beschwert sich über das ungestimmte Klavier und tritt nach 49 Minuten ebenso lakonisch ab, wie er gekommen ist. Wenn auch die Technik des legendären ältesten Grammy-Gewinners unter der Sonne vielleicht ein wenig unscharf ist, das Video des wahren Fans und Gleichgesinnten vermittelt seine geniale Musikalität.

Termin

Public Access
Ausstellung, Performancekunst, Island, BAWAG Contemporary
Freitag, 06.05.2011 14:00
bis Sonntag, 26.06.2011
Franz Josefs Kai 3 – Raum für zeitgenössische Kunst
Franz Josefs Kai 3
1010 Wien
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