Lesung von Sarah Lehnerer & Jackie Grassmann
Fireflies in the Dark. Letters on Ambiguities
Dies hier ist kein Roman, keine Geschichte und kein Theaterstück. Es gibt keine Hauptrollen und keine Handlung. Es geht nicht mal wirklich um dich und mich. Es geht, wenn überhaupt, ums Denken und Aufzeichnen, ums Durchstreichen, Revidieren, neu Ansetzen. Ums Teilen. Es geht um eine geteilte Praxis, um das Subjektivieren der lebenden Körper, das Informieren der Körper, mit den Körpern, durch die Körper, der Hydraköpfe und der Zehen und Herzen, oder? (Brief vom 25.02.2022)
Fireflies in the Dark. Letters on Ambiguities ist ein fortlaufender digitaler Briefwechsel zwischen den Künstlerinnen Jackie Grassmann und Sarah Lehnerer, der im März 2020 seinen Anfang nahm und ein Jahr darauf erstmalig in Auszügen als Buch veröffentlicht wurde. Der dabei gewachsene Text ist ein Dokument des Begehrens der Autorinnen, eine Sprache für ihre künstlerische Praxis, ihr theoretisches Denken und für den Alltag zu entwickeln, die sich in keiner traditionellen literarischen Kategorie bewegt, sondern eine eigene spezifische Form durch das Prinzip der Zugewandtheit, dem geteilten Denken und Begreifen, dem Zuhören und Ansprechen formuliert.
I am only in the adress to you. Dieses Zitat von Judith Butler ist hierbei die zentrale Einsicht und der ausschlaggebende Beweggrund, nicht aufzuhören, sondern weiterzuschreiben und in diesem gemeinsamen Verweben von verkörperter Gegenwart die eigenen Stimmen im Chor hörbar werden zu lassen. Die Fireflies in the Dark (Dt.: Glühwürmchen in der Dunkelheit) sind dabei ein Raum, der oft nicht mehr als die eine Morgenstunde mit dem ersten Kaffee einnimmt, und es ermöglicht, für eine kurze Zeit aus der Realität zu treten, um die Bedingungen darin längerfristig umzuprogrammieren. Die Kontinuität der Briefe zeichnet dabei ein lesbares, wenn auch widerspenstiges Dokument der Gegenwart. Denn das in die Lücken des Alltags eingewobene Schreiben wird zu einer künstlerischen Praxisform, in der das Selbst und der soziale Raum aus einer subjektiven, aber nicht singulären Position, sondern im Dialog befragt werden. Die dabei stattfindende Fiktionalisierung der Selbste ist in diesem Fall keine literarische Technik (Autofiktion), in der das Selbst immer noch als eine kontingente, wenn auch multiple Figur begriffen werden kann, sondern formuliert einen hybriden, relationalen Begriff von Selbst; ein Selbst, das sich, so die These, erst in einer geteilten Praxis von Care, Zugewandtheit und Freundschaft überhaupt konstituiert und entfaltet.
Die Lesung findet im Rahmen der Gruppenausstellung Taking Notes (12.09.–14.10.2023) statt, in welcher Sarah Lehnerer zudem mit zwei Arbeiten ihrer Somatics-Serie (2023–fortlaufend) vertreten ist.
Die Veranstaltung findet auf Deutsch statt. Die Publikation kann im Anschluss für EUR 12,- erworben werden.