Haile Gerima. Pan-African Cinema of Liberation

Mittwoch, 14. Juni 2023 - 18:00 Uhr

Universität für angewandte Kunst
Ort: Expositur Vordere Zollamtsstraße

Transkulturelle Studien

„Geister der Vergangenheit rufen einander herbei
Von hier und überallher. (…)
Kämpfende der Ethik und Gerechtigkeit, zaudert niemals!“

Der Klang dieser Zeile beschwört den Geist der Freiheit und des Widerstands der äthiopischen Kämpfer*innen in ihrer siegreichen Schlacht gegen die italienische Kolonialinvasion im März 1896. Es ist der Text eines der Lied-Gedichte, die die narrative Struktur von Haile Gerimas Film ADWA. Ein afrikanischer Sieg (1999) für ein Pan-Afrikanisches Kino der Befreiung bilden.
Dies ist ein Kino der Weitergabe und der Übersetzung – von Erzählungen und Geschichte, von Wissen und seinen Gesten, von Liedern und ihren Tönen. Sie alle werden zwischen Generationen und Orten, zwischen Bildern und Klängen, zwischen Händen und Blicken weitergereicht; auch mehr als hundert Jahre nach der Schlacht um Adwa, wo die Erzählung unterbrochen wurde, aber nie endete.

Heute steht die Veröffentlichung von Gerimas neustem Film Black Lions, Roman Wolves, welcher früher einmal Die Kinder von Adwa. 40 Jahre später heißen sollte, unmittelbar bevor. Es handelt sich um ein fünfeinhalb-stündiges dokumentarisches Werk, das als Fortsetzung von Adwa die zweite italienische Invasion durch Mussolinis faschistische Regierung im Jahre 1935 und, infolgedessen, eine weitere Generation des äthiopischen Widerstands dokumentiert.
Seit vierzig Jahren arbeitete Gerima an diesem Werk, das unter anderem seinem Vater Tefeka Gerima gewidmet ist, der als Dramatiker, Erzähler, anti-kolonialer und anti-faschistischer Widerstandskämpfer stets Inspiration und Verbündeter in Haile Gerimas Schaffen war. Doch die Veröffentlichung dieses Films verzögerte sich über Jahrzehnte hinweg aufgrund der neokolonialen Archivpolitiken des Istituto Luce Cinecittà, welches die Herausgabe des beantragten Archivbildmaterials, das Gerima zur Fertigstellung des Films benötigte, verweigerte.

Gemeinsam mit jüngsten Retrospektiven in Los Angeles, New York und Turin, interveniert dieses Programm in Wien also zu einem entscheidenden Zeitpunkt in Gerimas kinematographischer Karriere. Es ist seinem unbeugsamen Arbeitsethos und seiner Reise als einer der herausragendsten, produktivsten und tatsächlich unabhängigen Filmemacher*innen des afrikanischen Kontinents und dessen weltweiter Diaspora gewidmet.
Es bietet die einmalige Gelegenheit, Ausschnitte aus diesem lang erwarteten Film Black Lions, Roman Wolves sowie weitere unveröffentlichte Arbeiten und work-in-progress dieses legendären Filmemachers zu sehen und sich auf diese Weise mit den filmischen Techniken, den Prinzipien und der Kreativität des Filmemachers auseinanderzusetzen.

Darüber hinaus ist die Produktionsgeschichte von Black Lions, Roman Wolves allein schon ein wichtiger Anlass, über die Strukturen des Erzählens, der Macht, des Widerstands und der Un/Gerechtigkeit im Kino nachzudenken und nicht zuletzt die Forderung der Zugänglichkeit, Rückgabe oder Befreiung von Archivmaterial und den darin festgehaltenen „Geistern der Vergangenheit“ aus dem „Besitz“ westlicher Institutionen wie Luce und vielen anderen neu in Augenschein zu nehmen.

Denn immer wieder hält Gerima fest, dass das Recht Schwarzer Menschen ihre Geschichte/n zu erzählen, dem Recht entspricht atmen zu können und frei von Versklavung und Kolonialismus jeglicher Art zu leben, sei es in altbekannter Form oder als Neokolonialismus, sei es die Plantagensklaverei als weiße Institution oder das, was von George Jackson – der inhaftierte Revolutionär der Black Panther Party, den Gerima neben Frantz Fanon stets als einen seiner ersten „Filmlehrer“ nennt – kritisch als Neo-Sklaverei bezeichnet wurde. Der Westen steht in der Verantwortung gegenüber seinem Erbe der kolonialen Versklavung, die er in seinem eigenen systematischen Interesse beständig wiederbelebt. Das gilt auch für das Kino.

In jüngster Zeit sind weltweit zahlreiche imperiale Statuen und Denkmäler gestürzt worden und Europas prestigeträchtigste Museen werden für ihre gewaltsame Enteignung von Kunst und Artefakten aus kolonisierten Ländern kritisiert. Der anhaltenden Dominanz von Diskursen weißer Überlegenheit und eurozentrischer Narrative der westlichen Imperien, die die Geschichte/n des trikontinentalen „globalen Südens“ nach wie vor als ihr Besitzstand in Sammlungen und Archiven verwalten, muss auch im Kino, anknüpfend an Tradition und Gegenwart eines anti-kolonialen Kinos der Befreiung, etwas entgegengestellt werden.

Was bedeutet es also, Gerimas Kino als ein Kino der Weitergabe zu sehen? Wie er selbst sagt, baut jeder neue Film auf allen vorherigen auf, lernt von ihnen und steht mit ihnen in Verbindung. Von seinen allerersten und selten gezeigten Kurzfilmen Kill Tarzan und Birth of a Nation über atemberaubende Dokumentarfilme wie Wilmington 10 - U.S.A. 10,000 (1979) und Adwa (1999) bis hin zu den kraftvoll-dramatischen Spielfilmen wie Ashes and Embers (1982) und Teza („Morgentau“, 2008) widersetzt sich Gerima den dominanten Sprachen des Kinos mit anhaltender Selbstbestimmung und entschlossen, seine eigenen Geschichten wie die seiner Vorfahren einzufordern sowie das Recht darauf, diese zu erzählen.

Da Gerimas Idee und Politik des Kino weit über die Grenzen einer Filmvorführung hinausgeht und stets das Publikum als Gemeinschaft und die Kritiker*innen als Aktivist*innen miteinbezieht (siehe Haile Gerima: „Triangular Cinema, Breaking Toys, and Dinknesh vs. Lucy“, 1989), werden die Filmvorführungen von unveröffentlichten Werken im Filmhaus – Kino am Spittelberg gerahmt werden von einem öffentlichen Vortrag Gerimas, bei dem er seine allerersten Filme Kill Tarzan und Birth of a Nation zeigen wird, sowie einer Podiumsdiskussion zu Filmarchiven, kolonialem Raub, neokolonialen Zugriffspolitiken und Forderungen radikaler Restitution, und schließlich einem Filmgespräch zwischen Haile Gerima und Felipe Peres Calheiros über Techniken der Maroonage im Kino.

Programm, Organisation, Text: Viktoria Luisa Metschl, Greg Thomas
Grafikdesign: Katja Hasenöhrl

Das Projekt wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung des Rektorats und der Abteilung Transkulturelle Studien der Universität für angewandte Kunst Wien und der Kooperative “das kino co-op”, in Kooperation mit der Akademie der bildenden Künste Wien und dem Filmhaus - Kino am Spittelberg.

Besonderer Dank gilt Gerald Bast, Christian Dewald, Nanna Heidenreich und Christian Kravagna.


“Cinema of Liberation”
Öffentlicher Vortrag von Haile Gerima

Mittwoch, 14. Juni 2023
18 Uhr
Universität für angewandte Kunst Wien
Auditorium
Vordere Zollamtstraße 7, EG
1030 Wien

Der Vortrag findet in englischer Sprache statt.

„Jeder Krieg und Konflikt beginnt mit einer Erzählung. Wer besitzt deine Geschichte? Wer erzählt deine Geschichte?“ (Haile Gerima)

Im Mittelpunkt dieses öffentlichen Vortrags von Haile Gerima stehen Formen, Inhalte und Ästhetiken eines BEFREIUNGSKINOS, dessen ursprüngliches Ziel in den 1960er und 1970er Jahren es war, die Dekolonisierung zu unterstützen und eine wirkliche Unabhängigkeit herbeizuführen, insbesondere für Menschen afrikanischer Nationen auf dem Kontinent und in der Diaspora.

Darüber hinaus wird der Vortrag spezifische kulturelle und politische Fragen aufgreifen, die bis heute nichts an Brisanz verloren haben: Wie kann Kino als eine Waffe im Kampf gegen den Imperialismus genutzt werden? Wie ermächtige ich meine eigene und einzigartige narrative Logik? Wie schaffen wir ein Filmpublikum, das eine Kompliz*innenschaft in der Befreiung eingeht? Mit welchem filmischen Akzent soll ich sprechen?

In Erinnerung an seine ersten Erfahrungen an der Filmhochschule, sagt Gerima: „Die erste Revolution, die ich machen musste, hatte sich gegen meine eigene Kolonisierung zu richten. Tarzan-Filme und John Wayne-Filme. Also machte ich einen Film, der Kill Tarzan hieß. Um mit meiner eigenen Befreiung zu beginnen, musste ich den Tarzan in meinem Kopf töten.“ Im Rahmen dieser Vorlesung zum Kino der Befreiung wird das Publikum die seltene Gelegenheit haben, Bilder dieser kürzlich wiedergefunden, ersten Kurzfilme Gerimas zu sehen: Kill Tarzan und Gerimas eigene spektakuläre Version von Birth of a Nation.


BLACK LIONS, ROMAN WOLVES: “Ancestors in / and the Colonizing Archives”
Filmvorführung und Podiumsdiskussion mit Haile Gerima

Donnerstag, 15. Juni 2023
17 Uhr
Filmhaus – Kino am Spittelberg
Spittelberggasse 3
1070 Wien

*FREIER EINTRITT*

Haile Gerima zeigt einen 60-minütigen Ausschnitt seines aktuellsten Werkes Black Lions, Roman Wolves. Anschließende Podiumsdiskussion mit Berhanu Ashagrie Deribew (Künstler / Akademie der bildenden Künste Wien), Viktoria Metschl (Filmwissenschafterin / Universität für angewandte Kunst Wien), Jeremy Okello-Okello (Filmwissenschafter Akademie der bildenden Künste Wien).
Einführung: Christian Kravagna (Professor für Postcolonial Studies / Akademie der bildenden Künste Wien)
Moderation: Greg Thomas (Professor für englischsprachige Literatur / Tufts University)

Die Diskussion findet auf englischer Sprache statt.

Bereits vor einigen Jahren hatte Haile Gerima sein jüngstes Werk Schwarze Löwen, Römische Wölfe (früher bekannt unter dem Titel Die Kinder von Adwa, eine Fortsetzung seines Films Adwa. An African Victory (1999)) eigentlich fertiggestellt. Es handelt sich um eine fünfeinhalb-stündige Dokumentation der zweiten italienischen Invasion von Äthiopien im Jahr 1935 und des äthiopischen Widerstands gegen Mussolinis kolonialen Faschismus. Die Veröffentlichung des Films wurde jedoch ein ums andere Mal durch die neokolonialen Archivpolitiken des Istituto Luce Cinecittà untergraben. Dort weigerte man sich, Gerimas zahlreichen Anfragen auf das benötigte Bildmaterial, die er seit dem 100. Jahrestag der ruhmreichen Schlacht von Adwa im Jahr 1996 bei Luce stellte, nachzukommen – obgleich in der Zwischenzeit die Anfragen anderer, weißer Filmemacher*innen auf vergleichbares Filmmaterial des afrikanischen Kontinents ohne Zwischenfälle erfüllt wurden.

Die Frage danach, wie diese Institutionen überhaupt in den „Besitz“ dieser Materialien kamen und wie es dazu kommt, dass sie diese weiterhin als ihr „Eigentum“ verwalten, ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung. Die Podiumsdiskussion wird sich mit Haile Gerimas drei Jahrzehnte lang andauerndem Kampf befassen, den er für die Befreiung von Bildern seiner Vorfahren, die in kolonialen Archiven gefangen gehalten werden, und für den Erhalt von Rechten für jenes Filmmaterial, das die brutale Invasion und Besetzung Äthiopiens durch die italienische Armee dokumentiert, geführt hat und weiterhin führt. Zusätzlich werden Beispiele ähnlicher Kämpfe um das, was Gerima das „Recht auf Erinnerung“ aller kolonisierter Menschen überall auf der Welt nennt, diskutiert.


“Cinema und Maroonage”
Filmvorführung und Gespräch in Anwesenheit der Regisseure

The Maroons (Haile Gerima, forthcoming, 60 min. excerpt)
Malunguinho (Felipe Peres Calheiros, 2013, 14’52’’)

Samstag, 17. Juni 2023
15 Uhr
Filmhaus – Kino am Spittelberg
Spittelberggasse 3
1070 Wien

*FREIER EINTRITT*

Öffentliches Gespräch zwischen Haile Gerima und Felipe Peres Calheiros über Kino und Maroonage, eine multiforme Technik der „kollektiven Flucht und des kollektiven Widerstands“ gegen jegliche Art der Versklavung.

Die Diskussion findet auf englischer Sprache statt.

Der legendäre Filmemacher Haile Gerima präsentiert einen Ausschnitt aus seinem kommenden Film The Maroons, eine dokumentarische Fortsetzung seines epischen und bahnbrechenden Dramas Sankofa (1993) über den Widerstand gegen Plantagensklaverei in den Amerikas. Als Vorfilm wird das afro-brasilianische Werk Malunguinho (2013) des Filmemachers, Fotografen und Journalisten Felipe Peres Calheiros gezeigt.

Malunguinho, ein explosiver Kurzfilm benannt nach einem legendären Maroon-Anführer Schwarzer anti-kolonialistischer Gruppen nahe der brasilianischen Stadt Recife, ist eine kreative Meditation über Geschichte, transgenerationellen Weitergabe von Erinnerung und zeitgenössische Schwarze Befreiungsbewegungen. Das Filmprojekt entspringt einer Auseinandersetzung mit afrikanisch-diasporischen Religionen von Seiten lokaler Aktivist*innen im brasilianischen Bundesstaat Pernambuco.

Im Anschluss an die Filmvorführungen werden diese beiden Werke und Filmemacher miteinander ins Gespräch kommen, um über Kino und Maroonage zu diskutieren und darüber, was es bedeutet, Arbeit an den Methoden von „kollektiver Flucht und kollektivem Widerstand“ gegen Sklaverei und Neo-Sklaverei zu leisten.

Termin

hAmSteR Events
Vortrag, Pan-Afrikanisches Kino der Befreiung
Mittwoch, 14.06.2023 18:00
bis Mittwoch, 17.05.2023
Universität für angewandte Kunst

Location:
Expositur Vordere Zollamtsstraße
Vordere Zollamtsstraße 7
1030 Wien
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