Schlawiner im öffentlichen Raum

eSeL Foto:

eSeL Foto: Leopold Kessler - RAL 9600 (Projektraum Viktor Bucher, 5.11.2020 - 20.2.2021)

Im Projektraum Viktor Bucher, der eigentlich eine Galerie ist, begrüßen nebst dem sympathischen Hausherren die Werke der ganzen Riege kunstsinniger Rabauken mit Faible für öffentliche Räume: Markus Wilfing an der Decke (als Riesenbadewannenstöpsel), Aldo Giannotti an der Wand (als Exhibitiummobile), der frühe Eisenberger (von dem man nur glaubt, dass es einer ist), und ich glaub’ auch Rabaukin Marlene Hauseggers Wimpern auf Häuserfenstern hab ich erstmals beim immerjungen Viktor gesehen. Bis letzte Woche bestand hier die Chance, Leopold Kesslers Arbeiten der vergangenen Jahre geballt nachzuforschen.

Leopold Kessler ist natürlich auch ein raffinierter Schlawiner in und an der Öffentlichkeit, den der eSeL seit dem Aufschütten einer Megaportion Hundefutter auf dem Wiener Naschmarkt ein bisserl aus den Augen verloren hatte. Kessler wurde ja vor vielen tausend Jahren mit seiner Diplomarbeit und seiner „Akademiekabel“, die die Stromversorgung daheim via kilometerlanger Nabelschnur von seiner Kunstbrutstätte rückverbandelten, quasi overnight zur Legende. Als Interventionist mimt er zur Freude aller den amtlichen Blaumann oder schlurft noch heute unverändert in grüner Parka durch die Videodokumentationen seiner Eingriffe in den Alltag. Als Resultat gibt’s meist Dokuvideo, Fotoarbeiten und die aufwändigeren Apparaturen als skulptural ausgestellte Reliquien.

Für seine allzu produktionsaufwändigen Maschinen konnte ich mich nie wirklich begeistern. Eine grosse Rüttelplattform erfreute auf der Mariahilfer Straße die Menschen allzu sehr – und landete dementsprechend beim „Sinnesrausch“ in Linz. Justament im Prater hingegen gibt es – so hoffe ich, noch immer – ein schlaue Apparatur, mit der durch ewig langes Drehen einer Kurbel (im Idealfall: gemeinsam) ein Riesengong zur Befriedigung aller zum Erklingen gebracht werden kann. Diese zufällig irgendwo entlang der Prater Hauptallee zu entdecken hatte den eSeL in ihrer vergemeinschaftenden Sinnlosigkeit dann wieder sehr mit Kesslers Oeuvre versöhnt.

Auch bei Viktor Bucher gibt’s eine umgebaute Trockenhaube, die statt Heißluft Kaltluft auf den Kopf speit – was als benutzbare Skulptur im Galerie-Interieur irgendwie gar keinen Sinn macht, außer vielleicht Erkältungen zu befördern. Den Kids, die das im Video im Sommer ausprobierten, taugte das scheinbar (den meinigen war’s total wurscht, die wollten lieber weiter Videospielen).

Andererseits gibt’s eine Fotoarbeit eines minimalen Kessler-Eingriffs indoors während Corona, der einem namenlosen Alten daheim in Form eines erhöhenden Sockels unterm Sofa simpel erlaubt, besser aus dem Fenster zu schauen. Die ist herzerwärmend.

In einer anderen Arbeit werden justament jene Schlösser, die als beschriftete Zeichen der Liebe seit geraumer Zeit allerorts auf Brücken hinterlassen werden, brutalst mit grauer Einheitsfarbe überpinselt und damit als Liebesbeweise ausgelöscht. Sowas sticht dem eSeL ins Herz (auch wenn ich die Schloßhinterlassung ähnlich verweigere wie zB beim Radetzkymarsch mitzuklatschen). Kessler jedoch dokumentierte in der dazugehörigen Fotoarbeit den Zustand der Schlösser im Verlauf der Folgemonate (gar: Jahre?). Und so hängen auch neue Schlösser neben den übermalten, aber von zahlreichen wurde die Interventionsfarbe wieder akribisch abgerubbelt, und ihre romantische Ambition damit trotzig erneuert. Daran lernte der eSeL wieder, dass nicht die Kunst die Moral mitbringt, sondern bestenfalls in den Betrachter:innen (oder Betroffenen) reaktiviert. Also nicht die Künstler:innen sind die besseren Menschen, sondern „die Kunst“ kann die Menschen dazu herausfordern, wieder zu besseren Menschen zu werden.

Ähnlich ambivalent verhält es sich mit der Auslöschung eines Bankomaten, der die Menschen einigermassen ratlos (und überraschend ohne Drang zu Gegenmaßnahmen) mit dem Verlust des Direktanschluss an die Nahversorgung mit Kapitalismus konfrontiert. Irgendwie unklar auch die Motivation zur großen Klappe, die als Rucksack auf Kleidersammelstellen angebracht werden kann, um das Umleiten der Kleiderspenden an Direktversorger zu bewerkstelligen, die aber ohne Spezialschlüssel auch nur der Künstler selbst sein dürften.

Draussen vor der Tür entpuppt sich auch die Wahrnehmung für den umgebenden Stadtraum als gesteigert. „Make cannabis great again“ prangt als Street Art an einer Häuserwand, entpuppt sich aber als Werbung für einen benachbarten Hanfstore. Der Statue von Johann Nestroy hingegen wurde ein großer Smilie über den Pimmel gepinselt. Die Auseinandersetzung mit Welt scheint auch mittels gelassenem Humor durchaus noch in Ordnung.

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