eSeL in Tourismus-Perspektive

foto.esel.at: Hanne Varming - Girls at the Airport (Copenhagen Airport, 14.8.2020)

foto.esel.at: Hanne Varming - Girls at the Airport (Copenhagen Airport, 14.8.2020)

Ein Selbstversuch in Dänemark

Urlaub folgt ja der Prämisse erholsam sein zu dürfen, und wer wie eSeL in der glücklichen Lage ist, seine Berufung als Arbeit zu betreiben, tut sich mit dem richtigen Ausmaß an Kunst in der Freizeit etwas schwer. Als Kontrastprogramm zum wöchentlichen Kunst-Sichten in und für Wien wurde also vor dem Ausflug nach Kopenhagen gar nichts vorbereitet. Wie kommt man als Ahnungsloser im Ausland – ohne eSeL Kalender – an gute Kunst-Empfehlungen? Ein Erfahrungsbericht frisch aus Dänemark.

foto.esel.at: Cisternerne Kopenhagen (4.8.2020)

foto.esel.at: Cisternerne Kopenhagen (4.8.2020)

Quelle #1: Best of Algorithmus

Anlaufstelle Nr. 1 für Urlaubsgestaltung (und vor allem Billigbuchung) ist vermutlich TripAdvisor, dessen gnadenloser Algorithmus „Attraktionen“ als relevante Kunst unbeeindruckt neben Segway-Touren und Banksy-Austellungen listet (falls überhaupt). Für Kopenhagen ist die geheimnisvolle Cisternerne als viel-besternte Top-Empfehlung gelistet. Skepsis scheint also angebracht.

(Der Ausflug nach Louisiana Louisiana wird auch empfohlen, das stimmt optimistisch – aber da waren wir leider beim letzten Mal schon).

foto.esel.at: Tomas Saraceno (Cisternerne Kopenhagen, 2.6.2020 - 30.11.2021)

foto.esel.at: Tomas Saraceno (Cisternerne Kopenhagen, 2.6.2020 - 30.11.2021)

Vor wenigen Jahren wurde der ehemalige Wasserspeicher noch für Glas-„Kunst“-Ausstellungen genutzt, und man kann unserer Betreuerin die Erleichterung ansehen, dass nunmehr unter dem Kuratel der Frederiksberg-Museen tatsächlich zeitgenössisch denkende KünstlerInnen geladen werden, in (und mit) der spektakulären Grotte solo machen zu können, was sie wollen.

foto.esel.at: Tomas Saraceno (Cisternerne Kopenhagen, 2.6.2020 - 30.11.2021)

foto.esel.at: Tomas Saraceno (Cisternerne Kopenhagen, 2.6.2020 - 30.11.2021)

In diesem Jahr wollte Tomas Saraceno . Mit Booten erkundet man im trüben Licht die unterirdische Grotte und zugleich die Grenzen dessen, was man in der Dunkelheit sehen – und in Wissenschaft und Kunst darstellen – kann. Mit Seil und Paddel geht’s plätschernd vorbei an Videos von Weltall und Wasserspinnen, die neben Spinnennetzen und Saracenos sphärischen Skulpturen über Wasser schweben, so dass es eine Freude ist, dem Hirn dabei zuzusehen, wie sich die Augen daran gewöhnen, das Makro und Mikroversum zusammen zu spinnen.

foto.esel.at: Tomas Saraceno - Aerosolar (21er Haus / Belvedere21, 21.6. - 30.8.2015)

foto.esel.at: Tomas Saraceno - Aerosolar (21er Haus / Belvedere21, 21.6. - 30.8.2015)

Saraceno zeigte wienzulande mit Flugobjekten aus Plastiksackerln im damaligen 21er Haus nerdige DIY-Qualitäten inklusive ehrlichem Bemühen um Publikumspartizipation. Seine Glassphären funkeln weiterhin in der Wiener Karlskirche.
Derlei Kunstwelt-Anerkennung mit sinnlichem Realraum-Erlebnis fürs Publikum darf auch der Algorithmus gern weiter empfehlen.

foto.esel.at: In Focus - Statements (Copenhagen Contemporary, 25.6. - 30.12.2020)

foto.esel.at: In Focus - Statements (Copenhagen Contemporary, 25.6. - 30.12.2020)

Quelle #2: Persönliche Empfehlung

Nach dem Internet wurde eine bekannte dänische Künstlerin nach Empfehlungen befragt. In Folge ging die nächste Expedition traditionsgerecht im Lastenrad die keimenden Erlebnislandschaften entlang des Hafenufers zum nordöstlichsten Gentrifikations-Aussenposten Copenhagen Contemporary .

foto.esel.at: David Shrigley - Do Not Touch the Worms (Copenhagen Contemporary, 25.6. - 30.12.2020)

foto.esel.at: David Shrigley - Do Not Touch the Worms (Copenhagen Contemporary, 25.6. - 30.12.2020)

Die Halle ist gigantisch. Das ebensolche Gewusel aus Regenwurm-Skulpturen von David Shrigley bestaunt man gern, wenn diese sich im Minutentakt luftgeblasen aufbäumen – ebenso, dass sich im Obergeschoß ein gigantisches Kunst-Vermittlungsareal „CC Studio“ ums Weiterdenken und -basteln bemüht. Auch vor dem Haus – natürlich in Containern: Buttonmaschine (hier: Mitmachen), Seife zum Mitnehmen (hier: Kunst von Shilpa Gupta) und Wunschbäumchen von Yoko Ono (hier: Mitmachen als Kunst).

foto.esel.at: Marilyn Minter @ In Focus - Statements (Copenhagen Contemporary, 25.6. - 30.12.2020)

foto.esel.at: Marilyn Minter @ In Focus - Statements (Copenhagen Contemporary, 25.6. - 30.12.2020)

Der Charme der Ortserkundung nach weiteren „Statements“ , die rundherum im öffentlichen Niemandsland verstreut wurden, leiden allzu oft unter dem Wunsch, statt die Gegenwart ambivalent andes zu denken, auf der sicheren Seite der Moral zu stehen. Wenn ästhetisch aufwändig aufbereitet wird (Marilyn Minter), was Trump an Mist von sich gibt, fühlt sich der eSeL eher unwohl, ebenso wenn buchstäbliche Power-Point-Kunst von Tony Cokes vorschreibt, wie über Morrissey gefälligst zu denken ist.

foto.esel.at: Douglas Coupland @ In Focus - Statements (Copenhagen Contemporary, 25.6. - 30.12.2020)

foto.esel.at: Douglas Coupland @ In Focus - Statements (Copenhagen Contemporary, 25.6. - 30.12.2020)

Der weithin sichtbare Aufruf von Douglas Coupland allerdings, man möge doch horten, was man nicht downloaden kann, passt perfekt zu den schicken verknappten Lebensbedingungen der Tiny Houses mit räudigen Studentenwohnungen in Containern, die den Weg zum Kunstareal besiedeln.

foto.esel.at: Urban Rigger Studen Appartments (Copenhagen, 3.8.2020)

foto.esel.at: Urban Rigger Studen Appartments (Copenhagen, 3.8.2020)

Über das Ausmaß an kulturgestützer Ufer-Aufwertung am Ufer würde man sich in Wien vermutlich kritisch äußern (wenn sich der Donaukanal nicht gerade selbst so entzückend als Ersatz fürs fatale Clubverbot anbieten würde).

foto.esel.at: Olafur Eliasson - Cirkelbroen Brücke (Kopenhagen, 3.8.2020)

foto.esel.at: Olafur Eliasson - Cirkelbroen Brücke (Kopenhagen, 3.8.2020)

Als Tourist radelt man hingegen dankbar über die Schiffsmasten-Brücke des Ur-Kopenhagners Olafur Eliasson, vorbei an Kunst-, Musik-, und Filmakademien, die als Cluster auf Inseln angesiedelt wurden, bestaunt besagte Studentenwohnungen und Miniaturhäuser. Und natürlich gibt’s auch hier die aufgemotzte Müllverbrennungsanlage , die sich statt mit Hundertwasser-Ornamenten mittels Kletterwand, Sommerschipiste und Eyecatcher-Architektur um Sympathien bei der Generation Mülltrennung bemüht.

foto.esel.at: Reffen Street Food Areal (Copenhagen, 3.8.2020)

foto.esel.at: Reffen Street Food Areal (Copenhagen, 3.8.2020)

Man endet im radical chic eines „Street Food Areals“ , wo auf Holzbrettern zwischen Ölfässern und Skaterrampen gehockt wird – und ertappt sich dabei als Tourist mit so einem entspannten Abhängeort direkt am Wasser keineswegs unglücklich zu sein. Die üppigen Bierpreise hingegen machen das gratis Leitungswasser wieder attraktiv, das man hier selbst im Klo-Container einwandfrei trinken kann, während man wie fast überall auch gleich erneut die Hände desinfiziert.

foto.esel.at: Jeppe Hein - Blue Modified Social Bench (NY Carlsberg Fondet for Den Blå Planet, Copenhagen, 14.8.2020)

foto.esel.at: Jeppe Hein - Blue Modified Social Bench (NY Carlsberg Fondet for Den Blå Planet, Copenhagen, 14.8.2020)

Identitätsstifter Sitzmöbel

Fehlen eigentlich nur die MQ-Möbel (formerly known as Enzis). Die gibts knapp vorm Flughafen als Wegweiser zum Mega-Aquarium Jeppe Hein . Wenn's darum geht, Kids happy zu kriegen, während man die Wartezeit auf den verschobenen Flug überbrückt, freut man sich, wenn sie jede dieser Parkbänke beklettern und bekrabbeln – und die Vorstadt-Wohngegend bekommt en passant auch ein „unique Image“.

foto.esel.at: Lego Haus (Billund, 10.8.2020)

foto.esel.at: Lego Haus (Billund, 10.8.2020)

Quelle #3: Wissen mitbringen

Von der letzten Etappe weiß der eSeL aus der AzW-Ausstellung über die besten Häuser Europas, zu denen auch das Lego Haus zählt, das seit 2017 in Billund steht und erst dadurch auf eSeLs Besuchs-Wunschliste gelandet war.

[und von dem wir nichts gewusst hätten, weil nur das „Lego Land“ hierzulande und in Dänemark auf gefühlt jeder Cornflakes-Packung beworben wird (das betreibt aber inzwischen eine Investorengruppe, die mit dem Plastiksteinchen gar nichts mehr zu tun hat)]

foto.esel.at: Lego Haus (Billund, 10.8.2020)

foto.esel.at: Lego Haus (Billund, 10.8.2020)

Was am Lego Haus neben der Architektur, die ebenso ganz im Zeichen des „Brick“ steht, die bis zur Größe ganzer Stockwerke ineinander verbaut wurden, überrascht, ist wie clever justament das Konsum-Produkt Lego seine „MuseumsbesucherInnen“ anzustacheln versteht, die eigene Kreativität zu entwickeln, wie man es der Kunst ja jederzeit wünschen würde.

foto.esel.at: Lego Haus (Billund, 10.8.2020)

foto.esel.at: Lego Haus (Billund, 10.8.2020)

Ausgestellt wird hier außer Best-of-Bauten und ein bisschen Firmengeschichte (und einem 160m Lego-Baum) fast nichts. Stattdessen gibt’s dutzende Mitmach-Stationen, bei denen Kinder allen Alters gemeinsam Lösungen entwickeln, um zB Käfer-Mutationen über vibrierende Böden zu navigieren, Autos für Speed oder Sprünge zu entwickeln, Roboter zu programmieren (um gemeinsam Mammuts aus dem ewigen Eis zu befreien), oder eine Stadt zu bauen, die um Zufriedenheit ihrer Bewohnerinnen buhlt. Immerhin bejubeln die in die Landschaft projizierten Legomännchen den richtigen Mix aus Wohnbauten, Shopping, Parks und Abfallwirtschaft damit, dass sie in Sportstadien abfeiern. Museumsbesuche folgen vermutlich beim nächsten Update….

foto.esel.at: Lego Haus (Billund, 10.8.2020)

foto.esel.at: Lego Haus (Billund, 10.8.2020)

Lego mag man eben: Weil’s die Kreativität anregt, aber auch wegen dem Museumsshop – wechselseitige Befruchtungen stehen da durchaus im Businessplan. Dass es sehr wohl eine Rolle spielt, welche Interessen, Institutionen, Strukturen und Financiers dahinter stehen wenn – ja , auch – Tourismusangebote entwickelt werden, konnte eSeL bei seiner Rückkehr erfahren: das ambitionierte Medienprojekt eines Energydrink-Herstellers wurde scheinbar von einem Tag auf den anderen beinhart abgedreht.

foto.esel.at: Kultursommer Wien (Juli 2020, Naschmarkt)

foto.esel.at: Kultursommer Wien (Juli 2020, Naschmarkt)

Tourismus at home: Grätzlentdeckungen

Derzeit darf man sich übrigens in Wien durchaus auch als Tourist fühlen. Das teilweise erstklassige Programm der Kultursommer-Bühnen und Impulstanz „Public Moves“ Workshops , das kulturpolitisch klar den Zweck hat, Auftrittshonorare unter’s coronagebeutelte Künstlervolk zu bringen – und vermutlich auch Kulturangebote unter’s Wahlvolk – wird in den Grätzeln vor allem von Zufallspublikum beklatscht – oder dient als Ausrede für Ausflüge in der eigenen Heimatstadt.

foto.esel.at: Notgalerie (16.8.2020, Seestadt Aspern, 16.8.2020)

foto.esel.at: Notgalerie (16.8.2020, Seestadt Aspern, 16.8.2020)

Der kuriose Swimming-Pool am Gürtel steht auch auf der Liste, weil er erlebbar macht, was außer Autos auf Straßen möglich wäre. Und mit der U-Bahn kommt man hervorragend auch ins Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern, wo die Notgalerie dank Impressario Reinhold Zisser und vielen vielen Mitwirkenden KünstlerInnen jedes Wochenende (bis 4.10.) mit einem feinen Bottom-up Sommerfestival mitten in der Gstettn aufwartet.

Weil die Notgalerie dort gerade ihren Abgang macht, bevor die Bagger kommen, darf man sich einen Bauteil nach Hause nehmen, um ihn als Teil „dezentralen“ Raumes in liebevoller Erinnerung zu bewahren. Ganz ohne, dass das im Museumsshop was kostet.

foto.esel.at: Brigitte Kowanz "OMG" @ Ich werde nicht dulden ...: Akt V (Notgalerie, Seestadt Aspern, 16.8.2020)

foto.esel.at: Brigitte Kowanz "OMG" @ Ich werde nicht dulden ...: Akt V (Notgalerie, Seestadt Aspern, 16.8.2020)

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