Demokratiedefizit Kunst

eSeL Foto: Heimo Zobernig - Demokratie Parlament (Kunst im Parlament “in situ”) eSeL Foto: Heimo Zobernig - Demokratie Parlament (Kunst im Parlament “in situ”)

Weil im Zuge der Umbauten des Parlaments am Ring – und dessen Öffnung für Besucher:innen ab diesem Wochenende - auch zeitgenössische Künstler:innen eingebunden wurden, kamen Demokratiedefizite im Kunstbetrieb wieder mal überdeutlich zum Vorschein. Immerhin nicht unwidersprochen: Vor Ort lassen die Kritikpunkte leicht übersehen, wie kompromissbereit die Interventionen im hohen Haus ohnehin umgesetzt worden sein dürften.

Vorab: Die zehntausenden Österreicher:innen, die dieses Wochenende in Scharen durchs Hohe “Open House” pilgern werden, wird die inkludierte Kunst deutlich weniger tangieren, als die Frage, ob die drei Standorte der durchaus ambitionierten „Kelsen“-Gastronomie (aus dem Hause Labstelle) Speisekarten-technisch dem Schnitzelbedürfnis der Bevölkerung eh gerecht werden. (Spoiler: Ja, natürlich)

Zudem werden viele die interaktiven Infoscreens im „Agora“-Foyer als "Ausstellung" erleben, in der sie über Geschichte von Parlament und Demokratie in Österreich erfahren, und gleich daneben eine private Fotosammlung internationaler Foto-Ikonen zur Weltgeschichte und die Sieger:innen des für alle offenen „Global Peace Photo Award“ anschauen können.

eSeL Foto: Parlament Neueröffnung eSeL Foto: Wiedereröffnung Parlament

Mit Namen österreichischer – wenngleich verstorbener – Künstler:innen, werden sie vor allem durch die von Schiele bis Lassnig prominent benamsten Sitzungssäle konfrontiert. Auch Hedy Lamarr steht hier schon als Adressgeberin Patin; schnell noch, bevor der ehemalige Leiner nach ihr benannt als kuratierer Konsumtempel eröffnet wird. Und es hängen ja auch generell viele Gemälde an den Wänden, nicht zuletzt die Portraits der Nationalratspräsidenten, die sich ihre Maler:innen stets selbst aussuchen (Das mittelalterliche anmutende Relief von Sobotka – mit Schalk im Nacken – stammt von Josef Kern, das von Heinz Fischer von Xenia Hausner).

eSeL Foto: Parlament Neueröffnung eSeL Foto: Portraits Nationalratspräsident Fischer von Xenia Hausner

Am ehesten kriegt man vermutlich die Spiegelinstallationen von Eva Schlegel mit, weil diese gleich beim Eingang im Stiegenhaus hängt, und ungewohnte Perspektiven eröffnet (oben bei der Gastronomie hängt dann nochmal prominent eine Schlegel). Eine Erwin Wurm Skulptur soll auch noch nach innen kommen – der ist ja quasi unvermeidlich. Aber hier schon auch ok, weil die Etablierten mögen bitte gerne am wichtigsten Ort der Republik auch für Nicht-Kunstkenner:innen sichtbar sein

Wer auch bemerkt werden wird: Peter Sandbichler hat einladend-kryptisch die Republiksgeschichte in Holzreliefmuster übersetzt, die jenes „Plenarium“ im obersten Stock umsäumen, von dem das Volk von oben seinen Vertreter:innen beim Diskutieren zuschauen darf. Damit auch untereinander diskutiert wird, laden ineinander verwobene Sitzmöbel von ebendiesem Sandbichler zum gemeinsamen Knotzen ein.

eSeL Foto: Constantin Luser - Demokratietrompete eSeL Foto: Constantin Luser - Demokratietrompete

Vermutlich weniger öffentlich ist Constantin Luser, dem es immerhin gelungen ist, direkt neben dem Nationalratssaal eine mehrstimmige, bespielbare Tröt-Installation zu installieren. Die Posaunen-Rohre zeichnen als Wandzeichnungen individuelle Erinnerungen nach. Ibiza ist in Form einer Wolke dabei. Doppelt lustig, wenn man erfährt, dass nebenan der neue Plenarsaal absichtlich schallgedämpft wurde, damit Zwischenrufe ohne Mikrofon nicht gehört werden. Womit wir wieder bei der Macht des Nationalratspräsidenten wären.

Durch laute Kritik am güldenen Klavier (das sich vor Ort als schwarz mit vergoldetem Innendeckel entpuppt) ist es ja gelungen, dank Sobotka dem ganzen Parlament indirekt Verschwendungssucht und Willür zu unterstellen. Derlei färbt dann auch auf Entscheidungsprozesse zur Kunsteinbindung ab.

eSeL Foto: Treffpunkt Agora Parlament eSeL Foto: Treffpunkt Agora Parlament

Wir erinnern uns: Nationalratspräsident beauftragte den Leopoldsmuseumsdirektor. Der sub-beauftragt auch noch seine Lebensgefährtin und löste zu Recht eine Debatte über Mindeststandards bei relevanten Auftragsvergaben an Künstler:innen wie Kurator:innen aus – und inzwischen auch, warum die Museumsdirektor:innen Jobs dazu kassieren können, wenn sie eh bestens entlohnt werden (und hoffentlich ausreichend ausgelastet sind). Ist ja nicht so, dass es keine freien Kurator:innen-Profis gäbe, die derlei Entscheidungsprozesse auch transparenter und unter Einbeziehung mehrerer Expert:innen zu denken und abzuwickeln verstünden. Sprich: die heikle Frage von Qualitäts-Selektion justament am Ort der Demokratie „zeitgenössischer“ anpacken. So erfolgt das halt nachträglich via Feuilleton-Schelte. Danke Falter, danke Standard!

eSeL war fast überrascht, dass Sobotka zur Begrüßung beim Preview die kritische Funktion der Presse als vierte Macht zu würdigen wusste (sprachlich auch die anwesenden Journalistinnen zu inkludieren kam ihm dennoch nicht über die Lippen).

Dass auch die Kunst kritisch zum Nachdenken anstoßen kann, gar unbequem interveniert, ist bei der Parlamentsbekunstung kaum zu bemerken. Das Parlaments-Paradox: Die berechtigte Kritik an kuratorischer Entscheidungswillkür, sprich: der Ärger über „Qualitäts-Selektion“ ohne gute Begründung, lässt übersehen, wie sehr die Kunstwerke vor allem Kompromissbereitschaft auszeichnet.

eSeL Foto: Kurator Hans-Peter Wipplinger vor Esther Stocker "Galaxie" eSeL Foto: Kurator Hans-Peter Wipplinger vor Esther Stocker "Galaxie"

In den Stiegenhäusern verdichten sich herumpurzelnde Quadraterln von Esther Stocker angeblich zu einem „Sinnbild für das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft“, die bunten Stahlseilverspannungen von Martina Steckholzer verlaufen immerhin quer zum Stiegenhaus – in harmloser Höhe. Der Wandfries von Peter Kogler hängt noch nicht, weil die Brandschutzauflagen eine andere Produktionsweise erforderten. Besagte Erwin Wurm Skulptur, an dessen Omnipräsenz sich wirklich jede:r gewöhnt hat, war ursprünglich für draußen vorgesehen. Heimo Zobernigs Schrift-Vexierbild „Demokratie & Parlament“ musste in den Untersuchungsausschuss-Saal verschwinden. Es gab scheinbar ein Veto durch „Vertreter:innen aller Fraktionen“. Jetzt wird ihm ja mangels Live-Übertragungen nicht mal bei U-Ausschüssen öffentliche Sichtbarkeit gewährt.

Sogar die einzige wirklich junge, erwählte Künstlerinnen-Position, ist bestens dadurch gerechtfertigt, dass Lea Sonderegger ihre Fotoarbeiten über das Parlament vor dem Umbau bereits 2017 im Rahmen eines Uniprojekts erstellt hatte – und hier nicht als einzige jüngere Künstlerin willkürlich einen Auftrag zugeschanzt bekommen hat. Und Wipplinger war scheinbar selbst wiederholt bei Kunstprojekten im Parlament schon engagiert .

Man kann aus ihnen allen – Kunstwerken wie Kurator – die Auseinandersetzung mit den wichtigen Fragen zum Hohen Haus wohl herauslesen, sichtbar wird es bestenfalls nur als Symbol oder allzu stille Subversion.

Vielleicht sind ja sogar die „widerständigen, schwer zu handhabenden Effektfarben“, die von Heimo Zobernig im Empfangssalon neben Sobotkas Büro in riesengroße Farbflächen verarbeitet wurden, sehr sehr subtil-raffinierte Kritik: gleich daneben steht das legendäre Leihklavier mit Blattgold.

eSeL Foto: Das umstrittene - nur im Innendeckel - vergoldete Leih-Klavier im Blauen Salon eSeL Foto: Das umstrittene - nur im Innendeckel - vergoldete Leih-Klavier im Blauen Salon

Parlament Wiedereröffnung. Zeitgenössische Kunst

Ps. eSeL empfiehlt gezielte eine der zahlreichen Führungen: hier ...nach dem ersten Publikums-Andrang. >:e)

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