#eSeLSCHWARM feat. WaSCHbärhund: Anti-Asiatischer Rassismus

Frühling 2016, ich stehe in der Zweihundert-Meter-Schlange zum Kater Blau in Berlin. Ich denke: Ich bin Asiatin, ich bin exotisch, sie werden mich reinlassen, ganz sicher. Frühjahr 2022, ich sitze im Depot in Wien und nehme am Kurs „Desintegrationskurs #4: Solidarität und Widerstand. Gegen anti-asiatischen Rassismus“ teil.
Ich reflektiere, warum meine genetischen Merkmale immer mein erstes Identifikationsmerkmal sind und wie sich das Exotische in mein eigenes Denken einschleicht. Ich bin nicht exotisch, ich bin mehr als das.

Es ist eine lange Reise des Lernens und Entlernens. Die Kunst ist meine beste Freundin geworden, die mir die Hand hält und mich auf diesem Weg begleitet.

Desintegrationskurs #4: Solidarität & Widerstand. Gegen anti-asiatischen Rassismus. Depot. Kunst und Diskussion, 30.3.2022
Desintegrationskurs #4: Solidarität & Widerstand. Gegen anti-asiatischen Rassismus. Depot. Kunst und Diskussion, 30.3.2022

Im „Desintegrationskurs“ öffneten Claudia Unterweger und Vina Yun einen Raum für Diskussionen und luden damit auch die Kunst- und Kulturszene dazu ein, sich einzubringen. Die Podiumsgäste Künstlerin Hui Ye (Kollektiv Mai Ling, Wien), Noo (Perilla Zine, Wien), Anika Đặng (Journalistin, Wien) und die Moderatorin Vina Yun (Journalistin, Wien) sprachen über die Komplexität von anti-asiatischem Rassismus und erzählten ihre eigene Geschichte und ihre Erlebnisse mit diesem Problem, sowie die Möglichkeiten des Widerstands dagegen.

Anti-asiatischer Rassismus zusammen mit dem Widerstand dagegen hat eine Jahrhunderte alte Geschichte, doch die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass das Coronavirus und die darauf folgenden Angriffe gegen asiatisch gelesene Menschen größere Aktionen des Widerstands evozierten. Seit der Pandemie haben asiatisch gelesene Menschen sowohl physische als auch nicht-physische Angriffe erlebt, die von verbaler Aggression bis hin zum „silent treatment“ reichten. Wir werden von vielen für das Auftreten und die Ausbreitung des Coronavirus verantwortlich gemacht und für schuldig gehalten. Hass und Schikanen gegen amerikanische Asiaten führten zu #StopAsianHate-Protesten und der Notwendigkeit politischer Maßnahmen. Trotz der medialen Vernachlässigung in Europa waren die Angriffe jedoch keineswegs nur eine amerikanische Angelegenheit, sondern kamen auch in Europa vor. Im Rahmen des Online-Vernetzungsworkshops des „Desintegrationskurs“ erzählte Victoria Kure-Wu, Mitbegründerin des Projekts „Ich bin kein Virus“, von ihrer Erfahrung bei der Sammlung der Angriffserlebnisse der asiatisch gelesenen Menschen in Deutschland.

In der Diskussion wiesen die Teilnehmer:innen von Workshop und Kurs auf die Zweideutigkeit asiatischer Stereotypen hin. Asiatisch gelesene Menschen werden oft als „model minority“ angesehen, das heißt, dass sie als gesetzestreu gelten, hart arbeitend und ohne Konfliktpotenzial. Weitere Stereotypen beschreiben sie als klug, mit einer Begabung für Mathematik, Programmieren und klassische Musik. Aber auch wenn solche positiven Stereotype kaum geeignet sind, Protest hervorzurufen, sprechen sie den sie betreffenden Menschen doch Kreativität, Herzlichkeit und Liebe ab. Sie führen zu entmenschlichenden Stereotypen, wenn sie aus Menschen lediglich programmgerecht funktionierende Roboter machen.


Mai Ling kocht 3: We All Eat Dirt. Performance. Donaufestival, 6.5.2022
Mai Ling kocht 3: We All Eat Dirt. Performance. Donaufestival, 6.5.2022


Das 2019 gegründete Künstlerkollektiv Mai Ling erzählt den Gerhard-Polt-Sketch „Mai Ling“ aus dem Jahr 1979 nach. Darin geht es um einen weißen europäischen Mann, der eine asiatische Frau kauft und über seine Neuerwerbung spricht. Diese kommt aus Bangkok, trägt einen japanischen Kimono und kocht chinesische Gerichte. Sie ist unterwürfig, fügsam, schweigsam.

In „Mai Ling kocht: We All Eat Dirt“ verarbeitet das Kollektiv performativ die Trope der ost-/südostasiatischen Frauen*körper und bedient alle Sinne – Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen – um die Tiefe und Allgegenwärtigkeit dieser Stereotypen scharf zu vermitteln. Um unser einseitiges, einheitliches Bild von ost-/südostasiatischen Frauen* noch zu verstärken, nennen sich alle fünf Künstler:innen Mai Ling.

Die Künstler:innen beginnen damit, über asiatisches Essen zu sprechen, dass “billig, schmutzig und stinkend“ ist und Asiat:innen „verkörpert“. Wir essen sie, indem wir dieses Essen essen, so behaupten sie. Sie schaue ein Kochshow und kochen mit. Weiter geht es mit der Obsession für Schönheit, wobei sich die Künstler:innen über Kimchi-Gesichtsmasken und Cremes auf Sojabasis lustig machen. Diese Art von Stereotypen zeigt unterwürfige, fügsame und ruhige ostasiatische Frauen*, die in Hollywood als Lotus Blossom-Stereotyp gekennzeichnet sind.

Mai Ling kocht: We All Eat Dirt. Performance. Wiener Festwochen, Pickle Bar, 9.6.2022
Mai Ling kocht: We All Eat Dirt. Performance. Wiener Festwochen, Pickle Bar, 9.6.2022

Der nächste performative Akt erinnert mich an ein anderes Stereotyp ost-/südostasiatischen Frauen*, das in Hollywood als das Dragon-Lady-Bild bekannt ist. Es zeigt eine gewalttätige Verführerin, die Sexualität einsetzt, um ihre Ziele zu erreichen. Mai Ling erzählt die Geschichte von ihrer ersten Begegnung mit einem „Jahrhundert-Ei“. In verführerischer Stimmlage ergänzen sie die Geschichte mit zweideutigen Vergleichen und sexy Bewegungen.

Durch die Aufführung des Kochens zieht das Künstlerkollektiv Parallelen zwischen Vorurteilen über Lebensmittel und Menschen. Und obwohl einige Teile der Performance bis zur Absurdität getrieben scheinen, verleiht dies unserer eigenen Wahrnehmung von ost-/südostasiatischen Frauen*körpern eine besondere Ironie. Da ich selbst eine asiatische Frau bin, merke ich, dass ich die Performance anders wahrnehme: während das Publikum laut lacht, lächle ich meist traurig.

Performative exhibition-essay „How We Breathe?“ by Nisrine Boukhari & Hui Ye. VBKÖ, 31.5.2022
Performative exhibition-essay „How We Breathe?“ by Nisrine Boukhari & Hui Ye. VBKÖ, 31.5.2022

Eine der Podiumsgäste des „Desintegrationskurs“ – die Künstlerin Hui Ye – teilte ihre Erfahrungen mit diskriminierender Behandlung im Kunstbereich. Sie schilderte, dass sie ab und zu lediglich Einladungen zur Teilnahme an Ausstellungen erhält, weil das kuratorische Büro eine Vertretung chinesischer Künstler:innen benötigt. Ein solcher Einladungsgrund diskreditiert die Künstler:innen selbst und ihre Werke, er entwertet den Begriff der zeitgenössischen Kunst, die globale Themen vermittelt. Diese Haltung ist auch die Grundlage für eine Hierarchie unter den Künstler:innen, die nicht auf ihren Leistungen, sondern auf ihrer ethnischen Zugehörigkeit beruht. Am Ende stellt sie die Idee der Universalität der Kunstsprache selbst in Frage.

Mit Nisrine Boukhari hat Hui Ye die Ausstellung „How We Breathe?“ durchgeführt und präsentierte im Kurs ihr laufendes Projekt „In order to breathe infinitely audible...“. Darin erforscht sie die Zirkularatmung – eine Atemtechnik, die von Musiker:innen auf Holzblasinstrumenten verwendet wird, um einen kontinuierlichen Ton zu erzeugen. Durch das Üben der Zirkularatmung untersucht sie die natürlichen und künstlichen Qualitäten des Atmens und erfährt es „als verletzlichen Klangkörper des Lebens“ neu. Es wäre lächerlich, diese künstlerische Forschung als asiatisch oder chinesisch zu bezeichnen, sie ist global, es geht um das Atmen und die Luft, die alle Lebewesen brauchen und teilen, unabhängig von Ethnie, Nationalität, Religion, Geschlecht oder sozialem Status.

Illustration by Sunanda Mesquita
Illustration by Sunanda Mesquita

Moderatorin Vina Yun erzählte die wenig bekannte Geschichte der koreanischen Diaspora in Wien in dem semidokumentarischen Comic „HOMESTORIES“ (2017, unterstützt von kültüř gemma!). Die Komplexität der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Realität wurde durch persönliche Geschichten voller tragischer Wendungen, aber auch mit Humor vermittelt. Während wir im ersten Teil die Geschichte einer Migrantin der ersten Generation kennenlernen, entfaltet die Autorin im zweiten Teil die Geschichte einer Migrantin der zweiten Generation, die als „fremd“ in einer weiß-zentrierten Mehrheitsgesellschaft aufwächst und ein eigenes Modell von Identität und Zugehörigkeit entwickelt.

In den 60er und 70er Jahren – aufgrund des Mangels an qualifizierten Personal – rekrutieren die deutschen und österreichischen Regierungen Personal aus dem Ausland, meist „Gastarbeiter:innen“ genannt. Es ist 1972, als der erste Teil des Comics beginnt. Die 20-jährige Frau kommt gemeinsam mit anderen jungen Frauen nach Wien um Geld zu verdienen und ihre Familie in Südkorea zu unterstützen. In dieser Zeit ist Korea noch ein armes, von Kolonialismus und Krieg erschöpftes Land, das von einem autoritären Regime geführt wird. Trotz der körperlich anstrengenden Arbeit, dem Unbehagen, ihre Familie zu verlassen, und den Schwierigkeiten der kulturellen Adaptation, gründet sie eine Familie und macht Karriere in ihrer neuen Heimat. Der zweite Teil erzählt die Geschichte einer Teenagerin und ihrer alltäglichen Erfahrung von Mobbing aufgrund ihrer „anderen“ äußerlichen Merkmalen in einer Wiener Schule. Andererseits fühlte sie sich während des Sprachkurses in Südkorea unter den anderen Koreanern ebenfalls fremd.

Als Gastarbeiter:in nach Österreich zu kommen bedeutet offenbar, dass man immer irgendwie ein (auch unerwünschter) Gast bleibt, und wenn man in eine Familie von „Gästen“ hineingeboren wurde, wird man höchstwahrscheinlich auch ein Gast sein. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, wie ich mich fühlen würde, wenn ich in einem Land geboren wäre, das sich weigert, mich als sein eigenes Kind zu akzeptieren; wenn ich in einer Kultur aufwachsen würde, die ich nicht meine eigene nennen darf; obwohl ich dieses Gefühl, ein Fremder in dem Heimatland meiner Eltern zu sein, verstehen kann.

Stigmatisierung und Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur, Ethnie und Religion haben enorme Auswirkungen auf die Gesundheit unserer gesamten Gesellschaft. Dies sollte nicht unterschätzt werden. Es ist ein kultureller Missbrauch, eine physische und mentale Gewalt.

Stealing the stolen


PERILLA ZINE PERILLA ZINE



Acknowledgement

Ich lebe seit fast zwei Jahren in Wien, was wenig Zeit ist, um gründliche Analysen durchzuführen. Umso wertvoller war meine Begegnung mit PERILLA ZINE. „Perilla ist ein Zine von und für Menschen, die sich der asiatischen Diaspora zugehörig fühlen und nicht mehr länger unsichtbar und still sein wollen. Wir sind ein intersektional feministisches Kollektiv aus Wien, das seit Oktober 2020 besteht“ – Perillaz: Weina, Pete, Noo, cn. Das Zine hat mir geholfen, mich in den Kontexten der asiatischen Diaspora zurechtzufinden. Die im Artikel erwähnten kreativen Praktiken sind nur ein Teil der komplexen Geschichten, die asiatische Gemeinschaften zu erzählen haben. Das Perilla Zine stellt ihren Leser:innen diese Praktiken vor. Um nur einige zu nennen: Weina Zhao bricht Schweigen in ihrem Film „Weiyena – Ein Heimatfilm“, indem sie die Geschichte ihrer Familie erforscht, die mit der Geschichte Chinas vom frühen 20. Jahrhundert bis heute verwoben ist. Das Kunstprojekt “First Batch“ erzählt die Geschichte der philippinischen Krankenschwestern in Österreich.

Vina Yun unterstützte mich mit zahlreichen Einblicken.
Dr.x Sushila Mesquita ermöglichte mir den Besuch der Vorlesungsreihe sowie Lerngruppe „Aktuelle Debatten und Interventionen – Politiken der Un_Sichtbarkeit“ an der Uni Wien, die mir half, den akademischen Diskurs rund um die Themen Diversität, Inklusion, Rassismus und Sexismus kennenzulernen.
Dieser Text wurde im Rahmen eines Creative Writing Workshops im „das weisse haus“ verfasst. Das redaktionelle Feedback kam freundlicherweise von der Workshop-Tutorin Miriam Stoney.
Lektorat: Boris Anderson.

Text & Fotos: Zhameli Khairli „WaSCHbärhund“

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