Träume und Wirklichkeiten des Künstlerhauses

eSeL Foto: Ben Gyula Fodor - "Potemkin Stairs" @ 1503. Mitgliederausstellung (Künstlerhaus Wien 22.6. - 25.9.2022) eSeL Foto: Ben Gyula Fodor - "Potemkin Stairs" @ 1503. Mitgliederausstellung (Künstlerhaus Wien 22.6. - 25.9.2022)

Der diesjährigen Mitgliederausstellung des Künstlerhauses, offenbar die „eintausendfünfhundertdritte“ in der langen Geschichte „eines der ältesten artist-run-spaces“ – gelingt der Coup, die (auch generationenbedingt) schwerstens unterschiedlichen Kunstbegriffe der Mitglieder durch clevere Einbettung in brisante Themenfelder rund ums Künstlerhaus wieder zum Sprechen zu bringen. Den klugen Gastkurator:innen Fanny „Kevin Space“ Hauser und Georg „Springerin“ Schöllhammer gelingt es, die Kunstwerke zugleich als Symptome jeweiliger Zeitgeister der mehr als 150-jährige Geschichte des Künstlerhauses lesbar zu machen.

Das clevere Ausstellungsdesign von Johannes Porscht verwischt derweil absichtlich die Grenzen zwischen den ausgewählten Arbeiten und ihrem Präsentationsort: Sockeln, Tische, Skizzen und Spuren vergangener Ausstellungen, sowie Trümmer maßstabsgetreuer Miniaturmodelle des Hauses leiten auf raffinierte Weise direkt zu jenen Geschichten in den Köpfen der Besucher:innen über, die zwangsläufig jede:r über das umstrittene Haus am Karlsplatz zu wissen glaubt.

Vom Klimt-Secessionismus, über die Nazi-Epoche bis hin zur Rolle der Frauen bietet jedes Kunstwerk zwar seine eigene Story, funktioniert aber zugleich als Artefakt einer vielschichtigen Künstlerhaus-Archäologie, die zu Interpretation einlädt, ohne Interpretationen vorzuschreiben. Infos zu den Kunstwerken oder Schwerpunktsetzungen jedes Raumes gibt es nur für jene, die vom Schauen, Forschen und Verknüpfen in den linearen Text des Readers wechseln wollen. eSeL wollte nicht.

Während der eSeL in einem Raum an die Kollaboration mit dem Naziregime denkt, zeigt Herbert Pasiecznyk seine künstlerische Aufarbeitung der Auslöschung seiner Familie im KZ. Verbliebene Nägel an der Wand verweisen auf andere, abwesende Geschichten.

Eine schlechte Klimt-Kopie, die ausgerechnet vom damaligen Künstlerhaus-Präsidenten geschaffen wurde, leitet zu Werken, die in einem anderen Raum Mitgliedschaft und Zugehörigkeit hinterfragen. Darin hängt auch ein Austrittsschreiben – nicht das berühmte von Klimt, sondern jenes der ersten weiblichen Künstler(!)haus-Künstlerin Mathilde Esch. Eines ihrer Gemälde – justament „Die fünf Sinne“ – hängt prominent im Eingangsraum. Im Rücken eine gewaltige Wand voller vieler vieler Bilder, die in „Petersburger Hängung“ wie ein schlecht aufgeräumter Computer-Desktop vieler vieler Projekte und wie als sinnliche Teaser darauf dienen, was in den Räumen der Ausstellung vertieft und weiter assoziiert werden kann.

Wieder daheim vorm Computer kann sich der eSeL gerade nicht erinnern, ob es eigentlich Verweise auf die legendäre „Traum und Wirklichkeit“-Ausstellung von Hans Hollein zu sehen gab, die als „Großausstellung“ immerhin die Jahrhundertwende als Teil der österreichischen Identität in eine Geschichte namens Österreich zu zementieren verstand – und schwupps, schon ist es – zumindest für mich – Teil der Ausstellung geworden, die so geschickt zwischen der eigenen Imagination und den dargebotenen Wirklichkeiten ihre wunderbare Wirkung entfaltet. Hervorragend.

1503. Mitgliederausstellung

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