#eSeLSCHWARM feat. LAchs: Was für ein Theater? II

Alle eSeL Fotos: ESEL - Über das Störrische in uns (Dschungel Wien, 21.12.2021 - 30.6.2022) Alle eSeL Fotos: ESEL - Über das Störrische in uns (Dschungel Wien, 21.12.2021 - 30.6.2022)

Keine Woche vergeht, ohne dass ich ins Theater gehe. Jedes mal drängen sich mir dabei neue Fragen auf. Als ich zuletzt am Weg ins Theater in der Josefstadt war, habe ich mir überlegt, ob es überhaupt Sinn mache, sich das Stück anzuschauen, weil ich mir die Frage gestellt habe:

Ist das Theaterstück nicht schon 100 Jahre alt?

Manchmal ist das so. Die Beschreibungen der Stücke geben das meistens offen zu. Ich bekomme das Gefühl, dass sie sich damit rühmen, ihr Hundertjähriges Bühnenjubiläum zu feiern. Aber was kann das mit der Gegenwart oder sogar meinem Leben gemeinsam haben? Zum Glück sind in allen Wiener Theatern, die ich kenne, herausragende Mitarbeiter:innen beschäftigt, denen es jedes Mal aufs Neue gelingt, die gespielten Stücke in unsere Gegenwart zu übertragen. Sie
inszenieren
sie gut. Das Wort steht dem Ausdruck – in Szene setzen – nahe. Im Theater wird immer eine Handlung in Szene gesetzt, also inszeniert. Das Wort drückt in dem Kontext alles aus, was auf der Bühne zu sehen ist.

Natürlich können Details der Handlung oder die Hintergründe der Geschichte aus der Zeit gefallen wirken. Es gibt verschiedene Arten, diese alten Stücke aufzuführen. Einerseits sehr klassisch, nahe daran wie sie geschrieben wurden, oder mit Abwandlungen, die sie stärker in die Gegenwart übertragen, als
Neuinszenierung.
Das Wort beschreibt die Art, ein altes Stück auf der Bühne anders zu zeigen. Wie im vorigen Text aus der Serie „Was für ein Theater?“ beschrieben wurde, werden Stücke oft nach einer/m Autor:in gezeigt. Das heißt, dass die Inszenierung an ein Werk angelehnt ist. Das Stück kann also auf der Basis eines alten Stücks umgeschrieben worden sein.

Ab und zu ist genau das der Grund, warum ich gerne ins Theater gehe. Es gibt mir neue Perspektiven und Sichtweisen auf meine eigene Welt. Ich kann für eine Zeit meinen Kopf und meine Gedanken verlassen und mich in die Bühnenwelt hineinversetzen. Was aber im Zentrum dieser guten Stücke steht sind die Gefühle, die im Spiel sind. Es ist spannend zu sehen, dass sie sich anscheinend nie grundlegend ändern und Menschen immer von denselben Angelegenheiten herumgetrieben werden.
Der Klassiker ist die Liebe. Aber auch grundsätzliche ethische, politische, oder religiöse Fragen werden gestellt. Außerdem ist ein gutes Stück einfach ein gutes Stück. Genau wie ein gutes Kleidungsstück. Wenn die Qualität passt kann man es Umschneidern, Umfärben, oder anders kombinieren, aber es bleibt einfach gut.

Im Kontext der Aktualität der Stücke spielt der Begriff
Reprise
eine Rolle.
Es ist die Wiederholung oder die Wiederaufnahme von Theaterstücken. Wie das Ausstellen von Gemälden aus dem Archiv, werden schon gezeigte Stücke wieder gespielt.

Vor manchen Bühnen tun sich Gräben zwischen dem Publikum und den Schauspieler:innen auf. Ich hoffe immer es sind keine Gräben, die das Verständnis des Stückes überwinden muss. Im besten Fall sind es Gräben, die die Vorstellung bereichern. Auf den
Orchestergraben
trifft das zu. In Opernhäusern sind sie vor der Bühne. In Wien findet man sie in der Oper und in einem Musiktheater. Im Theater an der Wien auch, aber es ist nur im Namen ein Theater. Dort werden auch meistens Opern gezeigt. In Orchestergräben sitzen Musiker:innen, die die Mitglieder des Orchesters sind und die während einer Aufführungdie Musik spielen. Bei einer Oper zeigen Darsteller:innen eine Handlung auf der Bühne, aber tragen dabei die Worte gesungen vor. In einer Oper wird nicht gesprochen. Sie ist das Gegenteil vom Sprechtheater, das meistens die erste Assoziation ist, wenn man an Theater denkt. Das macht den Unterschied zwischen einer Oper und einem Theaterstück aus.

Alle eSeL Fotos: ESEL - Über das Störrische in uns (Dschungel Wien, 21.12.2021 - 30.6.2022)

Zwei weitere Genres, die in Spielstätten mit Orchestergräben aufgeführt werden sind die Operette und das Musical. Operetten unterscheiden sich von Opern dadurch, dass sie auch gesprochene Dialoge beinhalten, leichtere Themen behandeln und ihre Musik auch simpler und eingängiger ist.

Ein Haus in Wien ist mit der Zeit gegangen und hat vor 100 Jahren die damals beliebten Operetten gezeigt. Heute und präsentiert es Musicals. Die Musik zu den Stücken kommt aus dem Orchestergraben. Die Rede ist vom Raimund Theater. Bestenfalls. In anderen Häusern, die Musicals spielen, sitzen die Musiker:innen hinter der Bühne, oder die Musik läuft überhaupt aus der Konserve, also aus Lautsprechern.
Der Genrewechsel hat für das Raimund Theater eine erfreuliche Entwicklung für die wirtschaftliche Lage des Hauses mit sich gebracht, aber nicht für dessen kulturellen Anspruch. Wie oben beschrieben liegt der Charme hervorragender Theaterstücke darin, dass die Stücke ihrer Zeit und ihrem Kontext gerecht werden, dank hervorragender Personen, die am Theater wirken. Sie werden immer anders gespielt, um dem Publikum nahe zu bleiben und es mitzunehmen.

Musicals dagegen werden immer gleich gespielt. Sie sind eingängig, einfach und sehr kommerziell. Aber jedem das seine. Sie werden nur auch mit sehr viel Geld gefördert. Mit Mitteln also, die dann anderen Spielstätten fehlen. In Paradoxie dazu sind Musicalkarten in Relation aber teurer als Karten für andere Bühnenaufführungen. Günstige Tickets sind nicht immer für alle verfügbar. In manchen Häusern kann man nur an bestimmten Tagen Karten für 10€ kaufen, während man in der Staatsoper Stehplatzkarten zu jeder Vorstellung für 10€ bekommt. An dieser Stelle muss auch nicht für die Zugänglichkeit von Musicals plädiert werden. Sie wollen allen gefallen, und vielen gefallen sie oft. Theater eckt an, wie eine Person mit Charakter. Viele mögen das, manche nicht, aber wenigstens gibt es ein Profil, und keine einfältige Glätte.

Musicals zu propagieren wäre, als würde man fast food beliebt machen wollen. Lieber Gemüse billig anbieten und verschiedene Rezeptinspirationen geben, als Personen etwas schmackhaft zu machen, das nicht förderlich ist.

Manchmal kommt es zu Vermischungen und Deplatzierungen von Mitarbeiter:innen in verschiedenen Inszenierungen. Ich habe in Theaterstücken und Opern schon Musiker:innen auf der Bühne gesehen. Sie werden dann Teil des Stückes, also zu Schauspieler:innen. Sie fallen aus der Rolle.

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Das Gegenteil einer so großen Aufmachung sind
Kammerspiele.
Sie sind ein kleines Theater, in dem es wenig Drumherum gibt und man sich auf die Interaktion der wenigen Schauspieler:innen auf der Bühne konzentriert. In Wien gibt es die Kammerspiele der Josefstadt in der Inneren Stadt. Im Vergleich zum Theater in der Josefstadt sind sie aber nicht klein. Das Theater hat über 500 Sitzplätze und die Kammerspiele über 400. Sie konzentrieren sich eher auf den Aspekt ihrer Intimität. Der kommt auf jeden Fall durch, im Saal ohne Logen, in dem sich die Bühne von überall aus nahe anfühlt.

Ob klein oder groß, bezogen auf egal welchen Aspekt: sei es die Anzahl der Darsteller:innen, der Sitzplätze, die Saalgröße, die Größe des Bühnenbilds, die Spieldauer oder anderes… keine dieser Zahlen kann herangezogen werden, um die Qualität eines Stückes zu bewerten. Eine große dicke Winterjacke ist nicht deshalb besser als ein kleiner dünner Handschuh, weil das eine mehr ist und das andere weniger.


- Was für ein Theater? – Teil 1

Text: LAchs

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