Vergangenheut

eSeL Foto: Eröffnung Dispossession (Künstlerhaus, 23.9.2021 - 16.1.2022) eSeL Foto: Eröffnung Dispossession (Künstlerhaus, 23.9.2021 - 16.1.2022)

Das Künstlerhaus stellt sich mit „Disposession“ seiner Geschichte, denkt aber weiter als nur bis zur Rolle des Künstlerbundes in der Nazizeit (No Spoiler: es wurde präventiv angebiedert und noch vor dem sogenannten „Anschluss“ ausgeschlossen). Dieser war natürlich rein männlich besetzt – wie man u.a. dort über strukturelle Wirkmächtigkeiten erfährt – weil bis in die ‘60er die Aufnahme von Mitgliedern ohne Glied durch bürokratische „Spitzfindigkeiten“ verhindert wurde.

Künstlerin/Kuratorin Ariane Müller bietet über zeitgenössische Kunst clevere „Ums-Eck-Einstiegshilfe“ in die Materie (und das aufbereitete Archivmaterial). Die Re-Inszenierung einer Ausstellung der früh verstorbenen Linda Bilda stellt über Zeichnungen, Comics und eine echte Vogelspinne mittels eigenwilligem „Ungeziefer“ die Frage nach dem Ungewollten, anders als die durchaus plakative Beschriftung der Abzweigungen nach der Fest-Treppe ins „IN“ und ins „OUT“. Ebenso sinnbildlich funktionieren die leeren Vitrinen von Henrik Olesen perfekt im ersten Raum (und am Plakat).

Forscherin Sophie Lillie & Künstler Arye Wachsmuth ackern sich dann – entsprechend ihrer Herangehensweisen – tiefer durchs Material. Man lernt: DAS ikonische Foto von Sigmund Freud wurde justament im Moment seiner Flucht aus/vor Österreich geschossen und entpuppt sich als Werbesujet für die legendäre „Traum & Wirklichkeit“-Ausstellung (oder auch den Wientourismus generell) im Künstlerhaus als schmerzhaft aus dem Kontext gerissen. Eine späte Gedenktafel – die unbeleuchtet unter den grell beleuchteten Werbeplakaten an der Aussenfassade ihr unbeachtetes Dasein fristet – gedachte ab 1988 in „guter“ österreichischer Tradition nur der „Opfer“.

Aus heutiger Sicht überrascht, wie wichtig eine Mitgliedschaft im Künstlerhaus für Künstlerkarrieren (zB als Scharnier zur Kunstprofessur) auch Jahrzehnte nach dem berechtigten Auszug der Secessionisten von den allzu Altmeisterlichen gewesen zu sein scheint. Erfolg von Künstler:innen heute bedeutet Präsenz im internationalen Gefüge mehrerer Kunst-Netzwerke und ihrer Facilities, die vielschichtiger ineinander greifen, als es der Blick auf die Vergangenheit vermuten lässt. In diesem Sinne lassen sich die im Raum verteilten Matratzen und kryptisch weiterführenden Bildformate von Stephan Janitzky interpretieren. Zugleich sind sie Symptom für eine Ausstellungspraxis unter Einbindung internationaler Künstler:innen, mit der die Künstler:innenvereinigung seit der Renovierung wieder eine Positionierung im Wiener Kunstdiskurs der Gegenwart schafft.

Schon ab nächster Woche wird die Ausstellung „Vermischung“ in der FACTORY des Künstlerhauses aufzeigen, wie Kooperationen dabei helfen können, das eigene Denken und Dünkel (und hoffentlich auch die Grenzen des eigenen Netzwerks) zu überwinden. Umso erfreulicher, weil damit ein wichtiger Eckpunkt der Neupositionierung der „Künstlerhaus Vereinigung“ sichtbar wird, mit der seit der Renovierung die Herangehensweise der Mitglieder (männlich wie weiblich) im produktiven Austausch mit Art- und Geistesverwandten viel angemessener zur Geltung kommt, als in der Abgrenzung eines Vereins oder durch die (eigenen) vier Wände eines Ausstellungsortes am Karlsplatz.

Dispossession

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