Traummaschine Kino

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25. April bis 6. Juli 2025
“Jeder Traum wird Wirklichkeit”, schrieb der Psychologe Hugo Münsterberg schon 1916 im ersten theoretischen Werk über das neue Medium Kino. Das Erstaunen über die Präsentation des Kinematografen durch die Brüder Lumière 1895 und der darauffolgende Siegeszug des Films verdanken sich zweifellos der intuitiven Erkenntnis von Filmschaffenden und Publikum, dass die Kinoerfahrung der unwirklichen und doch vertrauten Welt glich, die sie im Schlaf erlebten. Wie keine andere Kunstform prägte die Traummaschine Kino das 20. Jahrhundert, auch als Wirtschaftsfaktor: Schon in den 1920ern deklarierte sich Hollywood als die Traumfabrik, während etwa der Surrealismus das fantastische und irrationale Potenzial des Films feierte.
“Wir waren beeindruckt von der großen Ähnlichkeit zwischen Traum und Film: ihre gemeinsame Macht, eine irreale, fantastische Welt zu erschaffen”, notierte damals der bedeutende Regisseur und Theoretiker Jean Epstein. Sein Freund, der Musikwissenschaftler Paul Ramain, ging 1925 in L’influence du rêve sur le cinéma (Der Einfluss des Traums auf das Kino) ins Detail: “Die Filmtechnik [ist] eine Traumtechnik. Alle visuellen und expressiven Mittel des Kinos finden sich im Traum. Die Gleichzeitigkeit von Handlungen, Unschärfen, Überblendungen, Doppelbelichtungen, Verzerrungen, Zeitlupen, geräuschlose Bewegungen – sind diese Verfahren nicht die Seele des Traums?”
Die Parallelität von Traum und Film prägte so das populäre Bild vom manipulierbaren Massenpublikum im Kino. In Die Traumfabrik beschwor Ilja Ehrenburg 1931 das propagandistische Potenzial der Hollywood-Maschinerie: “In den dunklen Sälen liegen sie im Schlummer, sie träumen wundervolle Träume. Wir müssen sie mit unserer Poesie anstecken, der Poesie des Dollars und des Ideals, der Poesie des Kampfes um den Erfolg – die Starken befehlen, die Schwachen arbeiten.” So schlagend sich das auch liest: Die traumhafte Kraft des Kinos, das sein Publikum ja nicht im Tiefschlaf beeinflusst, sondern eher in einen tagträumerischen Bewusstseinszustand versetzt, ist letztlich vor allem eine mythische, gerade im erzählerischen Film.
Denn wie der US-Schlafforscher Allan Hobson nach zahlreichen Untersuchungen anmerkte: Wirklich traumgleich sind eigentlich nur experimentelle Filme, befreit von der kohärenten Spielhandlung. Die wahre Traumfilmgeschichte fand im Avantgardekino statt, vom surrealistischen Meilenstein Un chien andalou (Ein andalusischer Hund, 1929) – für den sich Luis Buñuel und Salvador Dalí von ihren Träumen inspirieren ließen – über Maya Derens Meisterwerk Meshes of the Afternoon (1943) bis zu unterschiedlichsten Nachbildern, wie James Broughtons Dreamwood (1972) oder Peter Tscherkasskys Dream Work (2001).
So ist es kein Wunder, dass der Traum im Kino automatisch eine Schlüsselrolle eingenommen hat und dabei öfter dessen widerstrebende Tendenzen in Richtung Poesie und Industrie auszusöhnen vermochte. Sicherlich verdankt es sich dem ausgeprägten Nahverhältnis von Traum und Film, dass kaum ein anderes Motiv im Kino so verbreitet ist. Die Held*innen des Kinos entfliehen in Traumwelten wie in Buster Keatons Komödien-Geniestreich Sherlock Jr. (1924) oder dem Klassiker The Wizard of Oz (1939), der mustergültig das populärste Erzählmuster des “Traumkinos” vorführt: Die Traumebene spiegelt eine filmische Wirklichkeit, der die Hauptfigur entfliehen will, woraufhin die Probleme dieser “Realität” durch die Lösung im Traumreich symbolisch überwunden werden.
Träume werden zum Spiegel der Seele wie in Ingmar Bergmans Smultronstället (Wilde Erdbeeren, 1957), wobei Carl Theodor Dreyers albtraumhafte Vision aus Vampyr (1932) aufgegriffen wird. Sie sind ein Tor für dystopische Zukunftsvisionen, etwa in Total Recall (1990) oder Terminator 2 (1991), oder sie fungieren als Omen wie in zahlreichen Noir-Krimis von Man in the Dark (1953) bis zu Femme fatale (2002) – was The Big Lebowski (1998) als Musical-Nummer parodiert. Die Traumdeutung liefert psychoanalytische Erklärungen, von Hitchcocks Spellbound (1945) bis zu David Cronenbergs Freud-Film A Dangerous Method (2011).
Manchmal war auch alles nur ein Traum oder der Film balanciert auf der Schwelle zwischen Traum und Wirklichkeit. Traumgleiche Atmosphären werden in kommerziellen Produktionen ebenso beschworen wie in Avantgardekunstwerken. Der Surrealist Buñuel blieb sich auch später in Spielfilmen wie Le charme discret de la bourgeoisie (Der diskrete Charme der Bourgeoisie, 1972) treu: Sein Name steht für ein traumhaftes Kino wie später derjenige von David Lynch, dessen Blue Velvet (1986) eine unvergessliche Szene um eine Karaoke-Version von Roy Orbisons “In Dreams” enthält und dem ein Schwerpunkt in unserer Retrospektive Traummaschine Kino gilt. Parallel zur Ausstellung “Träume … träumen” in der Schallaburg haben wir 57 Lang- und Kurzfilme aus unserer Sammlung ausgewählt, um die vielfältigen Verschränkungen von Traum und Film zu beleuchten: von Alice in Wonderland (1903) bis zur Premiere von Norbert Pfaffenbichlers 2025 vollendeter 2551-Trilogie. Begleitet wird die Schau von zahlreichen Einführungen und einem Kuratorengespräch zum Thema. (Christoph Huber)
Einführungen von Christoph Huber an ausgewählten Terminen
In Kooperation mit der Schallaburg