Landvermessung 4

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Immer wieder beruft man sich im Zusammenhang mit dem gerne zitierten österreichischen Filmwunder auf die erstaunliche Fülle düsterer, verstörender Produktionen. Abgründiges Kino aus Österreich ist dabei nicht nur eine Trademark in der internationalen Festivalwelt geworden, sondern verweist auch auf Traditionen, die bis zurück in die Stummfilmzeit reichen. Die vierte Ausgabe der Landvermessung unternimmt Erkundungen im Schattenreich der österreichischen Filmgeschichte und befördert einige zwielichtig funkelnde Juwelen ans Tageslicht.
Im Schattenreich – Dunkelzonen und Abgründe im österreichischen Film
Am Anfang des ersten österreichischen Kinobooms in den 1920er-Jahren stand das Ende eines Großreichs, der Untergang der Habsburgermonarchie 1918. Die traumatische Erfahrung der Apokalypse, einer Welt, in der nichts mehr war wie davor, schlug sich auch in den ab 1919 massenhaft produzierten Stummfilmen nieder. Die meist nicht mehr erhaltenen Titel wie AM SEE DER ERLÖSUNG, DURCH DEN TOD GESÜHNT, DAS IRRLICHT IM OSTEN, DAS KIND DES TEUFELS oder ZWEIMAL IM JENSEITS deuten an, in welche Tiefenschichten der Psyche das Kino hier vorgedrungen war.
Aus diesem größtenteils versunkenen kinematographischen Universum haben sich einige Leitfossilien erhalten, die eine Vorstellung von den finsteren Leinwandspektakeln geben. DIE WÜRGHAND (1920) etwa, ein in grelle Viragen getauchtes Kriminaldrama, in dem Stummfilmstar Carmen Cartellieri eine laszive Verführerin gibt, die den Männern reihenweise den Tod bringt. Zu einem späten Höhepunkt des Filmexpressionismus wurde 1924 die österreichische Produktion ORLAC’S HÄNDE. Als ein gefeierter Pianist nach einem schweren Unfall seine Hände verliert, werden ihm die eines Raubmörders angenäht. Dieser im Gothic Style gedrehte Genre-Thriller taugt durchaus für einen Gründungsmythos des österreichischen Horrorkinos. Das metaphorische Spiel mit Licht und Schatten, das die Welt in Tag- und Nachtsphären unterteilt, sollte die Formensprache des im Hollywood der 1940er-Jahre groß gewordenen Film Noir entscheidend beeinflussen.
Auf halbem Weg dorthin realisierten jüdische österreichische Filmschaffende, die ab 1933 in Deutschland nicht mehr arbeiten durften, in Wien den Emigrantenfilm UNSICHTBARE GEGNER. Der in gleißende Schatten getauchte Krimi um spekulative Ölgeschäfte in Südamerika brillierte mit Noir-Effekten und einem großartigen Darsteller-Ensemble rund um Oskar Homolka, Gerda Maurus und Peter Lorre. Der Nationalsozialismus löste spätestens 1938 einen Exodus jüdischer Filmschaffender Richtung Hollywood aus, und mit ihnen verabschiedete sich auch das bald als „entartet“ geltende, subversive, düstere Kino aus Europa, um sich in den USA neu zu erfinden. Die hell strahlenden Filme der NS-Ära sollten nicht verstören und irritieren, sondern unterhalten und verblenden. Das systemkonforme Filmschaffen hinterließ aber bis weit in die Nachkriegszeit hinein künstlerische Leerstellen und offene Wunden.
Außenseitern wie Kurt Steinwendner in den 1950er-Jahren und Eddy Saller in den 1960er-Jahren war es vorbehalten, das filmkulturelle Wiederaufbau-Narrativ eines postkartentauglichen, heimatbewussten und geschichtsvergessenen Kinos der Versöhnung zu durchbrechen. Filme wie FLUCHT INS SCHILF (1953) oder DES FLEISCHES (1965) traten an, dem trügerischen Schein Negativ-Aufnahmen und Bildstörungen entgegenzusetzen. An den Reibungsflächen entstanden wilde und durchaus auch spekulative Filme, die vor dem Trivialen, den eingefahrenen Bahnen der Populärkultur nicht zurückschreckten und dabei auch den Blick auf die Kinokassa im Auge behielten.
Mit den Richtlinien und Zielsetzungen der Filmförderung tat sich das aus den Dunkelzonen des Lebens kommende Kino dann mitunter schwer. Einige der markantesten Produktionen wie ANGST (1983) oder DIE TOTEN FISCHE (1989) entstanden außerhalb der Förderstrukturen – unter oft selbstzerstörerischem Einsatz wurden kraftvolle Bilder aus dem Boden gestampft, die bis heute Bestand haben. Aufgesucht wurden dabei immer wieder randständige Zonen der Existenz wie vom Krieg hinterlassene Trümmerlandschaften, zwielichtige Nachtclubs, entlegene Hotels, trübe Gewässer oder finstere Täler. Diese exterritorialen Orte, Schauplätze der Entfremdung, der Nicht-Heimat, wurden zum topografischen Kennzeichen des dunklen Kinos aus Österreich. Gerade in der filmkünstlerischen Distanz zur heimelig eingerichteten Welt schufen diese im Schattenreich angesiedelten Filme die in diesem Land dringend benötigten Spielräume für das Infragestellen, das Zweifeln und auch das subversive Wenden der Verhältnisse.
Kurator: Ernst Kieninger