Sissi Farassat

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Die Nacktheit der Bilder
Für Kenner von Sissi Farassat´s Werk ist Revelation vor allem eine Überraschung. Als Pionierin der Eingriffe in ihre Fotodrucke mit Perlenstickereien und vielen anderen Möglichkeiten, das Bild durch manuelle Oberflächenbearbeitung zu veredeln, bietet Sissi Farassat hier eine umgekehrte Methode. Das Ausgangsbild wird gefunden und dann verdeckt. Wir sehen es nur fragmentarisch, wir müssen es erraten. Erst durch die Verdeckung ergibt sich das gewünschte Objekt. Es geht um Körper, Gesicht und Verführung. Was wir wahrnehmen, erinnert an eine Zeit, als Schönheitsideale durch die Codes von Kino und Zeitschriften definiert wurden; wir finden noch immer die etwas altmodische Eleganz von Hollywood-Frauen und inszenierten Küssen.
Aber ehrlich gesagt bleibt Revelation auch Sissi Farassats Ansatz vollkommen treu. Indem sie traditionelle Fotografien verwendet, auf die sie stickt oder webt (Stich, Pin-Up, Kontaktabzug usw.), führt sie eine zeitgenössische Praxis des Upcyclings von Fotografien fort. Die Besonderheit liegt hier vor allem darin, dass die Verdeckung des Bildes durch Beschneiden oder genauer gesagt durch ein Versteckspiel erfolgt: Das Bild wird durch eine Strategie der Blindheit gezeigt. Was wir nicht sehen, steht im Mittelpunkt. Was hier vor allem geweiht ist, ist der Off-Bereich als realer und imaginärer Raum zugleich. In diesem Spiel enthüllt der Künstler Teilmengen des Bildes, d. h., wie in der Mathematik, in einer Menge enthaltene Mengen, eine Struktur, die sowohl geteilt- als auch organisch verbunden ist.
Die Künstlerin legt Passepartouts auf stereotype Bilder. Offene Fenster in diesen Passepartouts geben den Blick auf einzelne Körperteile frei. Dadurch geht die ursprüngliche Bildkonstruktion, die Wahrnehmungskontinuität und die Logik des Blickwinkels verloren. Aus den Lücken entsteht ein neues Foto. Der Verlust der räumlichen Einheit führt zu Maßstabsveränderungen, die dazu führen, dass Körperteile nicht mehr im Einklang mit den anderen erscheinen. Eine neue Komposition bietet sich uns. Mit dieser Geste gelingt Sissi Farassat eine Poesie, die Materialität und Verschwinden verbindet. Enthüllung ist zugleich ein Mittel der Fragmentierung des Blicks, der visuellen Mechanik des Begehrens.
Revelation basiert auf einem Anti-Fotocollage-Prinzip. Die Fotocollage konstruiert ein Bild, das in seiner Fragmentkomposition vereint ist, eine Art kaleidoskopische Fotomontage. Das Bild existiert hier durch seine Lücken. Was es erscheinen lässt, ist eine „optische Décollage“, das Passepartout, das um den sichtbaren Bildteil gelegt wird, ist ein Prinzip der Blindheit und Neurahmung. Der Titel dieser Serie erhält damit seine volle Bedeutung: Revelation enthüllt – wie der Entwickler in der analogen Fotografie das Bild im Laborbad erscheinen lässt. Es hat etwas Chemisches, ja Alchemistisches. Im Grunde ist Revelation eine Arbeit, die, indem sie sich auf Körper konzentriert, uns von der Nacktheit der Bilder erzählt.
Michel Poivert (aus dem Englischen)