Die Galerie Reinthaler freut sich, mit Regina Hügli und Darja Shatalova zwei starke Vertreterinnen der Art and Science zu zeigen – wir tauchen ein in die Ästhetik von Datensätzen sowie Kunst made by Fauna und Flora.
Schadbilder werden die Spuren von Schädlingen auf ihrer Wirtspflanze genannt, auf Blättern, Rinde oder anderen Pflanzenteilen. Der Begriff zeugt von einer anthropozentrisch nutzungsorientierten, wertenden Unterscheidung zwischen Schädlingen und Nützlingen. Wertfreier formuliert: In verschiedenen Entwicklungsstadien von Insekten spielen jeweils bestimmte Pflanzen eine große Rolle, sei es als Ort der Paarung, Eiablage, Verpuppung oder als Nahrung für Larven und Raupen. Visuelle Spuren davon sind Fraßgänge oder auch Anomalien wie sogenannte Gallen. Regina Hüglis Schadbilder erweitern diese Co-Kreation von Insekten und Pflanzen um weitere mitgestaltende Akteure: lichtsensitives Material wie Fotopapier oder Filmmaterial, Entwicklerflüssigkeit aus Flusswasser, Pflanzen, Soda, Vitamin C und natürlich die Künstlerin selbst. Die Werke sind technisch gesehen Phytogramme, eine Mischung aus Fotogramm und Chemigramm auf Basis eines pflanzlichen Entwicklers. Das Zusammenspiel der beteiligten Akteure beinhaltet auch den Zufall, unvorhersehbare Reaktionen und Störfaktoren. Die Arbeiten sind daher nicht reproduzierbare Unikate. Die Phytogramme entstanden in Schleswig-Holstein im wendischen Elbe-Augebiet und geben Aufschluss über die lokale Flora und Fauna. Schon seit Jahren kreisen die künstlerischen Arbeiten von Regina Hügli um das Thema Wasser, wofür ihr 2023 der Österreichische Neptun Staatspreis für Wasser in der Kategorie Kunst verliehen wurde.
Darja Shatalova beschäftigt sich in ihrer mehrteiligen Präsentation mit der Transformation von digital verfügbaren Daten in den analogen, materiellen Raum. Die als Binärcodes vorhandenen, kühlen Datensätze werden durch einen langen, handschriftlichen Prozess in eine farbig codierte, lebhafte Form übersetzt. Auf diese Weise wird dem Datenballast des Binärraumes ein neuer Wert zugeschrieben, sodass er zur reizvollen Quelle einer ästhetischen Auseinandersetzung wird. Programma P1-P3 stellt dabei quasi das System für eine Übersetzung digitaler Daten eines Ausstellungsraumes in ein codiertes, räumliches Arrangement auf und fügt sich leporelloartig, fast wie ein überdimensionales Manuskript, in den Raum ein. Polytop P1-P5 greift die bereits generierte Übersetzungsform auf und wendet sie spezifisch auf die Historie der Galerie Reinthaler an. Dabei werden die unterschiedlichen Standorte, das Ausstellungsprogramm, die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler sowie Chronologien in fünf unterschiedlichen Grafiken in codierter Form untersucht. Die beiden Titel der Werkreihen sowie der Ausstellungstitel sind dem Altgriechischen entnommen und verweisen auf die Herkunft von Wörtern. Sie deuten damit auf den analytischen und strukturellen Untersuchungsansatz im künstlerischen Schaffensprozess hin.
Das Adjektiv πολύτροπος (polytropos) taucht in der ersten Zeile von Homers Odyssee auf und beschreibt Odysseus. Es setzt sich aus „poly“ (viele) und „tropos“ (Wege, Wendungen) zusammen und kann „vielseitig“ oder auch „weit gereist“ bedeuten. Odysseus ist das beste Beispiel für πολύτροπο: Gerissen, anpassungsfähig und einfallsreich in der Meisterung aller Herausforderungen seiner epischen Reise nach Hause. (Instagram-Account National Hellenic Museum Chicago, 23. Oktober 2024)