Mary Ellen Mark (1940–2015) galt als eine der wichtigsten Vertreter:innen der humanistischen Fotografie. Mit größter Sensibilität und Empathie für ihr Gegenüber porträtierte sie ab den 1960er-Jahren vor allem das Leben von Menschen an den Rändern der Gesellschaft und stellte vor dem Hintergrund der Frauenrechtsbewegung und dem männlich dominierten Berufszweig des Bildjournalismus zuvorderst Frauen und Mädchen in den Mittelpunkt ihrer Geschichten. Mit der bis dato größten Präsentation ihres Œuvres in Österreich widmet das Fotomuseum WestLicht der zeitweiligen Magnum-Fotografin und den von ihr Porträtierten nun eine längst überfällige Hommage.
Mehr denn als reine Zeugin verstand sich Mary Ellen Mark zeitlebens als Anwältin und Komplizin ihrer Protagonistinnen, in deren oft prekäre Lebenswelten sie tief eintauchte und zu denen sie manchmal auch Jahre nach der ursprünglichen Reportage Kontakt hielt. In ihrer charakteristischen Bildsprache, die kraftvolles essayistisches Erzählen mit der pointierten Einzelaufnahme verbindet, entstanden bahnbrechende Serien, die sie in Magazinen wie Life, Rolling Stone, Stern, GEO oder Vanity Fair sowie in zahlreichen Büchern veröffentlichte. Immer wieder hielt sie dabei ihrem Heimatland den Spiegel vor und porträtierte eine schon damals gespaltene US-amerikanische Gesellschaft– von Jugendlichen am Pier von Coney Island in New York über feiernde Pensionist:innen in Florida bis hin zu Ku-Klux-Klan-Anhänger:innen in Idaho.
Zu den wichtigsten Arbeiten von Mary Ellen Mark zählen die Serien Ward 81 über die Patientinnen einer geschlossenen psychiatrischen Klinik in Oregon (1976), die Miloš Forman mit dem Film Einer flog über das Kuckucksnest mit Jack Nicholson weltberühmt machte, Indian Circus, die die Artist:innen indischer Wanderzirkusfamilien porträtiert (1989/1990), Falkland Road, eine Reportage über die Lebensumstände von Sexarbeiterinnen in Mumbai (1978/1979), genauso wie die 1980 im Life Magazine publizierte Story über Mutter Teresa und ihre Mission in Kolkata oder das Projekt Streetwise über obdachlose Jugendliche in Seattle (1983), auf dem auch der gleichnamige Dokumentarfilm von Marks Ehemann Martin Bell aus dem Jahr 1984 basiert. Der Oscar-nominierte und beim renommierten Sundance Film Festival mit einem Jurypreis ausgezeichnete Streetwise umfasst Filmmusik von Tom Waits und wird im Rahmenprogramm der Ausstellung zu sehen sein.
Die Ausstellung im WestLicht entstand in Kooperation mit diChroma photography, kuratiert von Anne Morin, und ist die bislang umfassendste Präsentation des Werks von Mary Ellen Mark in Österreich. In rund einhundert Fotografien zeigt die Schau Auszüge ihrer bedeutendsten Reportagen genauso wie ikonische Aufnahmen aus ihrem Schaffen von den 1960ern bis in die 2000er-Jahre. Ergänzt wird die Ausstellung um Filme und wichtige Magazin- und Buchpublikationen der Fotografin.