Joel-Peter Witkin: Der Thanatograph

Bildende Kunst Zeitgenössische Kunst Fotografie Ausstellung
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1 Termin im Archiv
bis Samstag 26. Mai
21. März 2012 -
Sa 26. Mai 2012
18:00
Joel-Peter Witkin: Der Thanatograph

DAS FLEISCH DES TODES. DER THANATOGRAPH JOEL-PETER WITKIN
Ein Text von Prof. Dr. Ramón Reichert, Februar 2012

Der Tod ist im fotografischen Werk des 1939 in Brooklyn geborenen Joel-Peter Witkin allgegenwärtig. Auf obsessive und verstörende Weise sucht Witkin immer wieder neue Verkörperungen des Todes: Leichen und Skelette, Amputierte, siamesische Zwillige, Hermaphroditen, Androgyne, Sodomiten, Freaks sind die Protagonisten seiner fotografischen Inszenierungen der fleischlichen Vanitas.

Der Künstler berichtet von einem Ursprungserlebnis aus seiner Kindheit. Nach dem sonntäglichen Gottesdienst mit der Familie wird der 6-jährige Witkin Zeuge eines Autounfalls, wobei der hierbei abgetrennte Kopf eines Mädchens vor seinen Füssen landet. Ein traumatisches Erlebnis, dass seine Bildwelten beeinflussen wird.

Der Produktionskontext seiner fotografischen Arbeit ist zeitaufwendig und umständlich. Seine Modelle muss er teils jenseits der politischen und sozialen Grenzen suchen. Auf seinen Reisen nach Mexiko findet er in Gerichtspathologien und Leichenschauhäusern die der Obduktion entstammenden Leichenteile von Verstorbenen, Ermordeten und Unfallopfern und löst sie für seine theatralischen Inszenierungen aus ihrem forensischen Kontext heraus. Seine narrativ und dramaturgisch verdichteten Fotografien transformieren den Tod zugleich in eine vielschichtige Materialästhetik und in ein ästhetisches Bildgedächtnis.

In der Materialästhetik liegt die Handschrift des Künstlers. Die Materialität des Todes zeigt sich auf zweierlei Weise. Sie ist in den fragmentierten und deformierten Leichenteilen, die in den Stillleben arrangiert werden, sichtbar gemacht. Und sie zeigt sich in der künstlerischen Bearbeitung der Fotografie als Trägermedium des Bildes. Witkin bearbeitet das Negativ nachträglich durch Verätzungen, Eingravierungen, Kratzer und fügt Unschärfen und Überblendungen in die fotografische Aufnahme ein. Damit macht er aus der Fotografie selbst ein Medium der Vergänglichkeit und bringt damit ein Moment der Selbstreflexion in den visuellen Abbildungsmodus des Todes mit ein.

Ein kulturell kodiertes Bildgedächtnis bildet das Rahmenmotiv für Witkins Vermessungen des Todes. In Abgrenzung zur vorherrschenden klinisch-pathologischen Welt des Todes verortet er seine Thanatographie (nach Thanatos, dem Totengott der griechischen Mythologie) in einem bereits gegebenen Bildraum der europäischen Kunst- und Kulturgeschichte. Im Dialog mit der Kunstgeschichte künstlerischer Bildtraditionen eröffnen sich vielfältige Anschlüsse an die griechische Mythologie, die spätmittelalterliche Todessymbolik eines Hieronymus Bosch, die Ikonografie der Renaissance (Cranach), die christliche Heiligendarstellung (Giotto), den Manierismus der Spätrenaissance (Arcimboldo) oder die surrealistische Figurenmalerei eines Salvador Dali. In seinen werkgeschichtlich bedeutsamen Referenzen geht es Witkin immer darum, seiner Sichtweise auf den deformierten und schockierenden Körper eine historische Genealogie zu geben. Mit dieser bildkulturellen Aufladung erhält der individuelle Tod und der empirische Leib eine zusätzliche Dimension. Sadismus, Masochismus und Transsexualität sind der Conditio humana zugehörig und müssen nicht mehr länger von ihr ausgeschlossen werden.

Im Unterschied zum historischen Mahnruf des Memento Mori verweigert sich Witkin der moralischen Anklage und fotografischen Inquisition des Todes zugunsten einer sublimen Thanatographie, die im fleischlichen Verfall die Schönheit des Vergänglichen in den Blickpunkt rückt.

VERNISSAGE
21.März.2012 ab 18.00 - 21.00 Uhr
IN ANWESENHEIT VON JOEL-PETER WITKIN

LECTURE
21.März.2012 um 18.30 Uhr
DER THANATOGRAPH. JOEL-PETER WITKIN
von Kultur- und Medientheoretiker Prof. Dr. Ramón Reichert

AUSSTELLUNG
23.März.2012 – 26.Mai.2012

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