Zur Eröffnung sprechen:
Bettina Leidl, Direktorin KUNST HAUS WIEN
Maren Lübbke-Tidow, Kuratorin der Ausstellung
Ernst Woller, erster Präsident des Wiener Landtags
Die groß angelegte Themenausstellung stellt ein Genre in den Mittelpunkt, das derzeit in der zeitgenössischen Kunst neu aufgegriffen und diskutiert wird: das Stillleben. Bei dieser Wiederannäherung geht es weniger um eine nostalgische Referenz an ein verschwunden geglaubtes Genre. Ganz im Gegenteil hinterfragen Künstlerinnen und Künstler aktuell in der Fotografie das Stillleben radikal als Ausdrucksmöglichkeit. Es geht darum, herrschende Bildkonventionen zu stören und aus vordergründig antiquierten Stilen und Praktiken heraus eine klar umrissene künstlerische Alternative zu entwickeln - sowohl was den Raum der Dinge als auch den Raum der Bilder und den Raum der Fotografie betrifft.
Die KünstlerInnen der Ausstellung knüpfen mit ihren Arbeiten oft an spezifische Bildtraditionen an, die einerseits in der Geschichte der Malerei, andererseits in der Geschichte der modernen Fotografie zu finden sind. Harun Farocki beispielsweise beschäftigt sich in Stillleben (1997) mit den Funktionen des historischen Stilllebens und Parallelen zur gegenwärtigen Werbe- und Produktfotografie, Tacita Dean bezieht sich in Still Life (2009) auf die Kompositionsprinzipien eines sachlich-bildnerischen Stils und dessen Fundierung in der Malerei.
Wie schon im historischen Stillleben fußen auch die neuen Bilder auf einem Materialfundus, der Zeitgenossenschaft anzeigt. Anders als in der niederländischen Tradition aber sind es heute nicht mehr Handelsbeziehungen, die sich über kostbare und exotische Güter vermitteln, sondern die globalen Märkte mit Verweis auf den Massenkonsum demokratisierter oder elitärer Konsumwelten (Anette Kelm, Moyra Davey). In einigen Bildern sind Dinge als „Spur“ zu sehen, die Rückschlüsse auf das reale Leben ihrer BesitzerInnen oder den FotografInnen zulassen. In anderen Konzepten geraten die Dinge durch streng formalisierte Sichten zu eigenen ästhetischen Zeichen, die auf nichts als auf sie selbst zu verweisen scheinen.
Gleichzeitig stellt sich – in einem Moment, in dem unsere Bildkulturen im Umbruch sind und fotografische Bilder die Sprache zu ersetzen beginnen – die Frage, ob die „neuen Stillleben“ als Gegenraum zu den schnelllebigen Bildwelten unserer digitalen Gegenwart verstanden werden. Mit dem Stillleben verlangsamt sich das Sehen: Bildräume gelangen zu einer Präsenz, die sich der Flüchtigkeit der ständig wechselnden Bilder entgegenstellt.
Die in der Ausstellung vertretenen Arbeiten verweisen auf die oft zufällige und sich wandelnde Erscheinung der Dinge und auf die Offenheit ihrer Interpretierbarkeit. Damit widersetzen sich die Arbeiten dem Konzept einer völligen Beherrschung des Bildes – oder gar einer Beherrschung von Information.
KünstlerInnen
Ketuta Alexi-Meskhishvili (GE), Dirk Braeckman (BE), Moyra Davey (CAN), Tacita Dean (GB), Gerald Domenig (AT), Harun Farocki (DE), Hans-Peter Feldmann (DE), Manuel Gorkiewicz (AT), Jan Groover (US), Matthias Herrmann (DE), David Hockney (GB), Leo Kandl (AT), Annette Kelm (DE), Elad Lassry (IL), Zoe Leonard (US), Laura Letinsky (CA), Sharon Lockhart (US), Anja Manfredi (AT), Barbara Probst (DE), Ugo Rondinone (CH), Lucie Stahl (DE), Andrzej Steinbach (DE/PL), Ingeborg Strobl (AT), James Welling (US), Christopher Williams (US), Andrea Witzmann (AT)
Kuratorin: Maren Lübbke-Tidow