Künstler*in: Alice Slyngstad
Kuratorin: Frederike Sperling
In der nächtlichen Dunkelheit wird unser Orientierungssinn in vielerlei Hinsicht herausgefordert. Was tagsüber eindeutig und zuordenbar erscheinen mag, verschwimmt des Nachts in diffusen Schatten. Unser Körper beginnt verstärkt auf Sinneswahrnehmungen wie Geräusche und Gerüche zu setzen in dem Versuch, uns durch das Dickicht des Ungewissen zu steuern. Diese Erfahrung der Destabilisierung bildet den Ausgangspunkt von Flare demure, der neuesten, vom Kunstraum Niederoesterreich in Auftrag gegebenen Arbeit von Alice Slyngstad. Flare demure ist die erste Einzelausstellung der*des Künstlerin*Künstlers in Österreich.
An einigen Stellen des in Dunkelheit getauchten Kunstraums ragen Lichtkörper wie überdimensionale Blumen in die Höhe, biedern sich uns als Orientierung an, entlarven sich jedoch mit ihrem nervösen Flackern als unbeständige Wegweiser. Und auch der Sound, der aus ihnen dringt, eine vertraulich wirkende Stimme, vermag uns weniger zu navigieren, als uns vielmehr vor Augen zu führen, dass wir ahnungslose Akteur*innen in einer theatralen Inszenierung sind. Einer Inszenierung, für die es ein Skript zu geben scheint, in das wir aber nicht eingeweiht wurden. Wem können wir hier trauen? Wem können wir uns und unseren Körper anvertrauen?
Fragen, die Slyngstad nicht auflöst. Im Gegenteil. Im Zentrum von Flare demure steht vielmehr das Erleben und der Umgang mit Ambiguität, das Sich-Hingeben an das Ungewisse und Geheimnisvolle. Diese Erfahrung ist für die*der Künstler*in eng mit der Praxis des Cruising verknüpft. Cruising als eine Gratwanderung zwischen Sicht- und Unsichtbarkeit, Selbstverbergung und Selbstpreisgabe, aber vor allem als eine Einladung, eigenen Orientierungen zu folgen.
Wann und wo sich Körper in Flare demure allerdings begegnen, ob und wie viel wir voneinander zu sehen bekommen, hängt zu einem großen Teil von einem eigens für die Ausstellung entwickelten Algorithmus ab. Die digitale Infrastruktur der Schau, die sich im Zusammenspiel aus Licht und Sound materialisiert, gründet in Wahrheit auf einem vorprogrammierten Ablauf und steuert so Besuchende im Raum. So scheint es zumindest. Denn die vollständige Orientierung im Raum lässt Slyngstad bewusst immer wieder scheitern…
Flare demure wirft uns kontinuierlich auf unsere eigenen Sinneswahrnehmungen zurück und evoziert die Suche nach individuellen Formen der Navigation. Und so formuliert die Ausstellung schließlich eine Einladung, sich Orientierungsverlusten zu stellen und diese auf neue Arten und Weisen zu versuchen zu navigieren. Insofern konstruiert Slyngstad mit der Flare demure eine Heterotopie, d.h. eine Art Gegenwelt zu unserer taghellen Realität.
Mit freundlicher Unterstützung von OCA – Office for Contemporary Art Norway, Oslo
Alice Slyngstad lebt und arbeitet in Oslo. Slyngstads Arbeiten, die Text, Sound, Video, Installation und Performance umfassen, waren zuletzt im Rahmen von Einzel- und Gruppenausstellungen im Vleeshal Center for Contemporary Art in Middelburg (2022), im Palmera in Bergen (2021) und im UKS in Oslo (2023) zu sehen. Slyngstads Performances und Filme wurden in zahlreichen Institutionen präsentiert, u.a. im Rahmen der Bodø Biennale (2020), im EYE Filmmuseum in Amsterdam (2020), im Kunstnernes Hus in Oslo (2020) sowie im Les Urbaines in Lausanne (2019). Slyngstad hat am Sandberg Instituut in Amsterdam und an der Oslo National Academy of the Arts studiert.