Wir machen Musik, die erste große Prosaarbeit der Essayistin und Theaterautorin Gisela von Wysocki, ist die szenenreiche Geschichte einer éducation musicale. Zwischen Burleske und Drama erzählt sie von Täuschungen und Enttarnungen und der Faszination eines Kindes für die Welt der Musik, die von der Unterhaltungsmusik im “Dritten Reich” geweckt worden ist.
Es ist die Geschichte einer Faszination – der Faszination eines Kindes von seinem zauberhaften Vater und von dessen magischer Welt, der Welt der Schallplatten. In diesem Roman verschränkt sich das Biografische, also die Vater-Geschichte, mit einem Stück Musikgeschichte, nämlich der Unterhaltungsmusik im “Dritten Reich”. Der Vater ist ein erfolgreicher Plattenproduzent bei der Firma Odeon, seine kleine Tochter bewundert und bestaunt ihn wie einen Zauberer im Zirkus, weil er aus den schwarzen Rillen der Schellack-Platten Stimmen, Gesang und Orchesterklang hervorzaubern kann. Das Kind kann es sich nicht erklären: Wie können ganze Musikkapellen und Chöre in den schwarzen Scheiben Platz finden?
Gisela von Wysocki gelingt es, wie schon auf ganz andere Weise Marcel Beyer in seinem Roman Flughunde, das “Dritte Reich” als akustisches Phänomen zu beschreiben. Hinter dem Leichtsinn und der albernen Vergnügtheit der U-Musik öffnet sich, stets mitgedacht und zumindest angedeutet, der Nazi-Terror. Je mehr Wissen über die Epoche der Tochter zuwächst, desto mehr verblasst die Vaterfigur, desto wirkungsärmer wird ihr Zauber. Zuletzt verschwindet der Vater fast tonlos aus dem Buch. Gegen Musik wie Schönbergs Monodram „Erwartung“ kann seine Musik nicht bestehen.
(Sigrid Löffler, kulturradio rbb)
Gisela von Wysocki, *1940 in Berlin; studierte Musikwissenschaft und Klavier, zudem Philosophie bei Theodor W. Adorno. Lebt als Essayistin, Theater- und Hörspielautorin und Literaturkritikerin (Die Zeit, Literaturen) in Berlin. Publikationen: Die Fröste der Freiheit (1981); Weiblichkeit und Modernität. Über Virginia Woolf (1982); Auf Schwarzmärkten. Prosagedichte und Fotografien (1983); Fremde Bühnen. Mitteilungen über das menschliche Gesicht (1995).